Ausfälle auf Rekordhoch Krankheitsfälle verschärfen Personalnot in Hessen
Die Kita muss früher schließen - oder der Linienbus kommt nicht: In vielen Branchen in Hessen fehlt aktuell Personal. Zu den Gründen gehört, dass Arbeitnehmer sich so häufig wie nie krankschreiben lassen.
Für Angelika Fietz beginnt die schwierigste Zeit des Jahres. Als Geschäftsführerin beim Evangelischen Dekanat Vorderer Odenwald ist sie für insgesamt 17 Kitas in Südhessen zuständig. Da gebe es jetzt die ersten Erkältungsfälle, sagt Fietz: "Und es haben sich auch Mitarbeiter mit Covid infiziert."
Das betrifft mehrere Kitas besonders stark. Sie mussten deshalb ihre Öffnungszeiten reduzieren. Die Krankheitsfälle verschärften die Personalnot noch, erklärt Fietz. Dieses Jahr sei man bereits ausgewichen auf Mitarbeiter von Zeitarbeitsfirmen. "Wir waren heilfroh, dass sie uns in der Not unterstützt haben, aber das Ganze ist teuer und keine Dauerlösung", betont die Geschäftsführerin.
Krankschreibungen auf Rekordniveau
Offenbar fallen hessische Beschäftigte im bundesweiten Vergleich besonders häufig wegen Krankheit aus. Darauf deutet der Fehlzeiten-Report der Krankenkasse AOK hin. Demnach kommen auf 100 erwerbstätige AOK-Mitglieder in Deutschland im Schnitt 225 Krankschreibungen - in Hessen sind es 244.
Dabei geht es lediglich um den Zeitraum von Januar bis August. Die übliche Erkältungswelle im Herbst und Winter könnte die Zahl der Krankmeldungen weiter in die Höhe treiben.
In den vergangenen zehn Jahren ist die Zahl der Krankmeldungen nach Angaben der AOK um 38 Prozent gestiegen – auf einen neuen Höchststand. Weit verbreitet sind Atemwegserkrankungen, darüber hinaus werden Arbeitnehmer immer häufiger psychisch krank.
Besonders drastisch stiegen die Krankschreibungen bei Kleidungsverkäufern, Kassenpersonal und Beschäftigten in der Altenpflege.
Alarm hatte auch schon die Bertelsmann-Stiftung geschlagen. Insbesondere die Situation in hessischen Kitas halte man für "dramatisch". Wie die Stiftung im August ermittelt hatte, waren die Kita-Angestellten letztes Jahr im Schnitt knapp 31 Tage krankgeschrieben, deutlich mehr als andere Berufsgruppen.
Der Chef persönlich sitzt am Steuer
Sehr anfällig für Krankheiten sind nach Angaben der Krankenkasse DAK auch Mitarbeiter, die Fahrzeuge steuern, zum Beispiel Busfahrer. Das bestätigt der Landesverband hessischer Omnibusunternehmen. "Wir erleben in unserer Branche teilweise höhere Krankenquoten als normalerweise zu dieser Jahreszeit", stellt der Geschäftsführer des Verbandes, Volker Tuchan, fest: "Das stellt die Unternehmen vor große Herausforderungen, weil Personal im Busgewerbe sowieso schon knapp ist."
Die Busunternehmen versuchen laut Tuchan alles, damit die Fahrten trotzdem stattfinden. "Jeder, der fahren kann und einen Führerschein hat, wird hinters Lenkrad gesetzt - bis hin zum Geschäftsführer", sagt der Verbandssprecher. Ansonsten müssten die Unternehmen vertraglich vereinbarte Strafen zahlen.
Krankheitsfälle kosten Firmen Milliarden
"Strafen drohen auch, wenn etwa Liefertermine platzen", sagt Sozialexperte Jochen Pimpertz vom Institut der deutschen Wirtschaft. So könnten Krankmeldungen für die Unternehmen einen ganzen Rattenschwanz nach sich ziehen.
Allein um den Mitarbeitern während einer Erkrankung den Lohn weiter zu zahlen und für einen Teil der Sozialabgaben aufzukommen, haben die Betriebe Schätzungen zufolge letztes Jahr bundesweit knapp 77 Milliarden ausgegeben – auch das ist ein neuer Rekord.
Schwarze Schafe schwer zu überführen
"Der Ausfall für die Wirtschaft ist enorm", meint auch Franz-Josef Rose, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Vereinigung der hessischen Unternehmerverbände. Wenn ein Arbeitgeber eine Krankmeldung bekomme, sei er an diese erst einmal gebunden.
Bei den krankgeschriebenen Mitarbeitern zwischen echten Kranken und schwarzen Schafen zu unterscheiden, sei schwierig. "Aber bei einem Verdacht kann der Arbeitgeber mit dem Betriebsrat vereinbaren, dass der Kranke sofort zum Arzt muss", so Rose.
Mitunter auch ein Fall für Detektive
Von Hausbesuchen bei Kranken wie im Falle des Elektroautoherstellers Tesla distanzieren sich mehrere hessische Unternehmen auf Anfrage deutlich. Der Frankfurter Detektiv Eric Hartung jedoch berichtet, dass ihn immer wieder Firmen beauftragen, wenn es einen begründeten Verdacht gibt, dass Mitarbeiter einfach nur blau machen.
In solchen Fällen versucht der Detektiv zum Beispiel, an deren Wohnort Beweise zu sammeln und Fotos zu machen. Dabei halte man sich an die geltenden Gesetze, betont Hartung.
Vorgetäuschte Krankheit kann zur Kündigung führen
Tatsächlich bauten manche angeblich Kranke an ihrem Haus, erzählt Hartung. Andere machten Urlaub: "Wir haben schon Leute bis zum Flughafen und zu ihrem Urlaubsort verfolgt", so der Detektiv.
Während sie bei ihrer eigenen Firma krankgeschrieben seien, würden andere Beschäftigte schwarz arbeiten, mitunter sogar bei der Konkurrenz. In solchen Fällen können die Arbeitgeber diese Mitarbeiter abmahnen und ihnen bei einem massivem Fehlverhalten sogar fristlos kündigen.