Rückkehr-Debatte in Hessen Viele syrische Geflüchtete sind schon längst auf dem Arbeitsmarkt angekommen

Nach dem Ende der Assad-Herrschaft in Syrien wird in der Politik über die Rückkehr Geflüchteter diskutiert. Doch viele von ihnen sind in Hessen schon längst ins Berufsleben integriert und haben hier eine zweite Heimat gefunden. Für ihre Arbeitgeber wären sie schwer zu ersetzen.

Syrer feiern in Frankfurt den Sturz Assads
Syrer feiern in Frankfurt den Sturz Assads. Bild © picture alliance / Daniel Kubirski | Daniel Kubirski
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Rückkehr-Debatte: Syrische Geflüchtete längst Teil des Arbeitsmarkts

hs 10.01.2025
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Egal ob sie inzwischen als Ärzte arbeiten oder als KFZ-Mechaniker, egal ob sie Handwerker, Angestellte oder Auszubildende sind - seit dem Sturz der Assad-Regierung wird auch in Hessen über die Rückkehr syrischer Geflüchteter in ihr Heimatland diskutiert.

Derzeit leben in Hessen rund 63.000 Syrerinnen und Syrer, von denen viele berufstätig sind, auch in systemrelevanten Bereichen. Könnte selbst für diejenigen, die inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft haben, eine Rückkehr wieder denkbar sein?

Einer von ihnen ist Ahmed Alfihan. Er stammt aus der syrischen Stadt Idlib und floh im Jahr 2016 nach Hessen. Angesichts des Leids, das er in Syrien gesehen hat, absolvierte der heute 24-Jährige in Marburg eine Ausbildung zum Krankenpfleger im Diakonie-Krankenhaus in Marburg-Wehrda. Jetzt ist er ein fester Teil des Teams.

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Mittlerweile ist Alfihan eingebürgert, kann also nicht abgeschoben werden. Trotzdem hat die politische Debatte über einen schnellen Rückkehrplan syrischer Geflüchteter in ihr Heimatland seine anfängliche Freude über den Sturz des Assad-Regimes gedämpft: "Das hat mich traurig gemacht", sagt er.

Ahmed Alfihan, Krankenpfleger
Krankenpfleger Alfihan: "Meine zweite Heimat ist Deutschland, ich möchte hier bleiben." Bild © hr

"Was soll ich ohne meine Familie in diesem Land machen?"

Alfihan macht sich Gedanken über seine Eltern. Sie sind später als er nach Deutschland eingereist und haben noch keinen deutschen Pass.

Auch wenn er sich in acht Jahren hier eine Existenz aufgebaut hat, ist für ihn klar: Sollten seine Eltern abgeschoben werden, würde er mit ihnen gehen. "Wenn ich meine Familie nicht habe, meine Geschwister nicht habe, was soll ich in diesem Land noch alleine machen?" Schon einmal habe er seine Angehörigen zurücklassen müssen. Noch einmal möchte er das nicht. 

Jeder Mitarbeiter weniger wäre für Klinik ein Problem

Alfihan ist im Diakonie-Krankenhaus in Marburg-Wehrda nicht der einzige syrische Mitarbeitende. Zehn der rund 300 Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte stammen aus Syrien.

Portraitaufnahme von Sebastian Spies, Geschäftsführer Diakonie-Krankenhaus in Marburg: Mann mit Bart und Brille im Anzug blickt in die Kamera
Krankenhaus-Direktor Sebastian Spies: Jeder einzelne syrische Mitarbeiter ist wichtig für den Betrieb. Bild © hr

Jeder einzelne von ihnen sei wichtig, betont Geschäftsführer Sebastian Spies gegenüber dem hr. Fiele auch nur ein syrischer Arzt weg, "dann fehlt mir ab morgen ein Mitarbeiter, der im Schichtsystem arbeitet, der Patientenversorgung macht, der im OP tätig ist." Sowohl die Ärztinnen und Ärzte, aber auch Pflegefachkräfte sind ein fester Bestandteil des Teams im Diakonie-Krankenhaus, so Spies. "Von daher wäre das ein Riesenproblem." 

Rund 560 syrische Ärztinnen und Ärzte allein in Hessen

In Hessen arbeiten nach Angaben der Bundesärztekammer 278 syrische Ärztinnen und Ärzte (Stand 2023). Sowie weitere 281, die in Syrien geboren sind, aber mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft haben. Bundesweit sind es knapp 15.000 Syrerinnen und Syrer in Gesundheitsberufen, darunter rund 5.700 Ärztinnen und Ärzte.

Ihre Rückkehr könne lokal spürbare Folgen haben, wie Yuliya Kosyakova vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung betont: "Stellen Sie sich einen kleineren Ort vor, wo es nicht so viele Ärzte gibt und dann noch ein syrischer Arzt mehr geht. Für die betroffenen Patienten ist das natürlich ein sehr großes Problem."

In vielen systemrelevanten Berufen überproportional vertreten

Das gilt auch für andere Branchen: In Hessen sind nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit 18.000 syrische Geflüchtete tätig (Stand Dezember 2024). Viele von ihnen arbeiten laut Forscherin Kosyakova in sogenannten systemrelevanten Berufen, also etwa in Gesundheitsberufen, bei Bus- und Bahnbetrieben, in der Logistikbranche oder in Lebensmittelgeschäften.

"Das sind auch gerade Berufe, wo die Geflüchteten aus Syrien überproportional beschäftigt sind", so Kosyakova. Und das längst nicht nur in Helfertätigkeiten, sondern auch als Fachkräfte oder in Expertentätigkeiten.

KI-Unternehmen: Syrische Kollegen haben Abteilung erheblich mitgeprägt

Wie unverzichtbar solches Expertenwissen ist, weiß Felix Kreuziger von der Frankfurter Beratungsfirma Ponturo. Er leitet einen Bereich, der sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigt. Zwei seiner Kollegen kommen aus Syrien und hätten den KI-Bereich erheblich mitgeprägt. Sie zu verlieren "wäre ein Riesen-Verlust", sagt Kreuziger.

Einer der beiden Kollegen ist Amin Ali. Der 32 Jahre alte KI-Experte lebt seit neun Jahren in Hessen, ist mittlerweile deutscher Staatsbürger. Erst einmal möchte er in Deutschland weiter arbeiten und Geld an seine Familie in Syrien schicken. Erst nach einem halben oder ganzen Jahr, vermutet er, könnte es für viele Syrer überhaupt erst möglich werden, zurückzukehren. Auf seinem Fachgebiet, der KI, werde er in Syrien wohl erst einmal nicht gebraucht, so seine Einschätzung. "In Syrien geht es erst einmal um den Wiederaufbau, das Gesundheitssystem, das Bauingenieurwesen."

KI-Experte Amin Ali sitzt in einem hellen Raum am Schreibtisch und schaut auf den Bildschirm seines Computers.
KI-Experte Amin Ali möchte seine Familie von Deutschland aus unterstützen. Bild © hr

Auch der Handwerksbereich könnte betroffen sein. Stefan Füll, Präsident des Hessischen Handwerkstage, warnt: "Der typische Handwerksbetrieb hat nicht mehr als zehn Beschäftigte. Daher hoffen die Arbeitgeber im hessischen Handwerk auf den Verbleib ihrer syrischen Mitarbeiter, die sie mit großem Aufwand ausgebildet haben." Zu groß sei noch der Fachkräftebedarf im Handwerk.

"Meine zweite Heimat ist Deutschland"

Sebastian Spies vom Diakonie-Krankenhaus in Marburg-Wehrda möchte seine syrischen Mitarbeitenden wie Ahmed Alfihan nicht missen. Trotzdem kann er verstehen, dass es manche vielleicht wieder zurück in die Heimat zieht. Trotzdem: Wer nach Syrien zurückkehren sollte und es sich doch anders überlegt, hätte die Garantie, "dass er auch hier wieder eine Zukunft finden wird und hier wieder Fuß fassen kann".

Krankenpfleger Alfihan kann sich vorstellen, zumindest zeitweise nach Syrien zu gehen, wenn sich die Lage dort stabilisiert: "Ich würde meine Erfahrungen - das, was ich hier gelernt habe - in meinem Land weitergeben." Aber eine komplette Rückkehr kommt für ihn nicht in Frage. "Meine zweite Heimat ist Deutschland. Ich möchte hierbleiben."

Redaktion: Anikke Fischer

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: Mit Informationen von Abdullah Al Samman, Lars Hofmann und Christoph Käppeler, hessenschau.de