Kalt, verschimmelt, nass Dubioses Firmengeflecht lässt hunderte Mietwohnungen vergammeln

Häufig Schimmel, teils keine Heizung und kein warmes Wasser: In hunderten Mietwohnungen vor allem in Nord- und Osthessen leben Menschen unter katastrophalen Bedingungen. Ein dubioses Firmengeflecht aus Hessen lässt die Häuser verwahrlosen. Mieter und Kommunen sehen nur noch den Ausweg zu klagen.

Foto, die Wasserschäden in Wohnräumen und Müllablagen vor einem Gebäude zeigen, sind auf einer türkisfarbenen Fläche collageartig zusammengestellt.
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Dubioses Firmengeflecht lässt hunderte Mietwohnungen vergammeln

hs
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In der Wohnung von Familie Amiri in Borken (Schwalm-Eder) ist die Luft klamm und der Teppich im Flur ist triefend nass. Eimer stehen auf dem Boden, die Wasser auffangen, das von der Decke tropft. Schwarzer Schimmel breitet sich auf den feuchten Wänden aus. Wenn die Mutter der Familie atmet, rasselt ihre Lunge, sie habe mittlerweile Asthma, erklärt sie.

Es ist Mitte Dezember, warmes Wasser hat die Familie nur, wenn sie einen Topf auf den Herd stellt. Die Wohnung gehört einem Firmengeflecht, das etliche Mietshäuser mit hunderten Wohnungen in Hessen und Bayern besitzt, viele in ähnlich schlechtem Zustand.

Eigentum verpflichtet - theoretisch

"Eigentum verpflichtet", heißt es im Grundgesetz. Was passiert, wenn Immobilienbesitzer ihren Pflichten gegenüber Mietern und Kommunen nicht nachkommen, zeigt sich in Häusern in den nordhessischen Orten Borken und Wabern, in Flieden (Fulda) und im bayerischen Wildflecken nahe der hessischen Grenze.

Auf einer Hessenkarte sind Orte verzeichnet in denen ein Firmenkonglomerat Immobilien besitzen
Überblick über betroffene Orte und ehemalige Immobilienstandorte des Firmengeflechts aus Hessen. Bild © hessenschau.de

Zuständigkeiten und Eigentümerschaft wechseln zwischen verschiedenen Firmen mit Sitz in Frankfurt oder Limburg. Mieter und Kommunen erzählen, dass die Vermieter kaum erreichbar seien. Hinter dem Firmengeflecht stecken nach hr-Recherchen aber immer die gleichen Personen.

Auch in Bad Berleburg in Nordrhein Westfalen hatte eine der Firmen bis vor kurzem 130 Wohnungen in ähnlich schlechtem Zustand. Dort wurde kürzlich verkauft, die Stadt hofft nun, dass der Ärger vorbei ist. Die Gemeinde hatte zwischenzeitlich den Bewohnern freien Eintritt ins Schwimmbad ermöglicht, damit sie warm duschen können. Die Energieversorger hatten laut der Stadt wegen "beträchtlicher Zahlungsrückstände" zwischenzeitlich die Versorgung in den Häusern eingestellt.

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Allgemeinheit wird doppelt belastet

Überall gibt es die gleichen Probleme: Den Kommunen machen die Schrottimmobilien viel Ärger und Arbeit, sie gehen finanziell in Vorleistung, müssen teils mit Ordnungsgeldern und Zwangsvollstreckung drohen, um überhaupt die üblichen Gebühren etwa für Abwasser von den Eigentümern zu bekommen. Teils funktioniere das kurzfristig, dann zahlen die Verantwortlichen irgendwann, heißt es aus den betroffenen Gemeinden. Für den Verwaltungsapparat oder das Ordnungsamt in kleinen Orten bedeuten solche Problemimmobilien trotzdem eine ständige Belastung.

Am Ende zahlt der Staat und damit die Allgemeinheit gleich doppelt für das Gebaren der Immobilienfirmen: Weil die Kommunen in der Not den Mietern helfen und finanziell in Vorleistung gehen - und gleichzeitig der Staat oft auch die Mieten für die Sozialwohnungen von Bürgergeldempfängern oder Geflüchteten überweist, die in den Schrottimmobilien wohnen.

Bürgermeister fährt in der Not nach Frankfurt

Der Bürgermeister von Wabern, Claus Steinmetz (unabhängig), fuhr zuletzt selbst nach Frankfurt - in der Hoffnung, den Zuständigen die Not der Mieter klar machen zu können, erzählt er. Durch die Temperaturen im Winter habe sich die Situation verschärft: "Die Heizungen müssen funktionieren, die Wohnungen müssen trocken und die Treppenhäuser beleuchtet sein, die Haustüren müssen zu schließen sein, das sind die dringendsten Forderungen", sagt er.

Wabern Wohnungen
Wohnhaus in Wabern (Schwalm Eder), Mieter beschweren sich, dass Müll herumliegt und der Rasen nicht gemäht wird Bild © hr

In Wabern seien gleich drei Unternehmen des Firmengeflechts beteiligt gewesen, sagt Steinmetz: die Atlanta Immo GmbH, die Plan B Private Capital und die X-Direct Group. Es gehe um rund 85 Wohnungen. Auch in anderen betroffenen Gemeinden tauchen immer wieder diese Firmennamen auf, die X-Direct Group ist mittlerweile im Insolvenzverfahren. Ob sein Besuch in Frankfurt was gebracht hat? Bürgermeister Steinmetz ist noch skeptisch.

Entmieten - und dann?

Die Kommunen haben wenig Einflussmöglichkeit, denn Eigentum verpflichtet nicht nur, sondern wird vom Gesetz auch besonders geschützt. Sie können nicht einfach die Immobilien betreten und Wohnungen neu tapezieren. Einige Kommunen versuchen, auf juristischem Weg weiterzukommen.

In Borken stehen laut der Stadt etwa 30 der insgesamt über 90 betroffenen Wohnungen leer. Wenn die in gutem Zustand wären, würden sie als Sozialwohnungen dringend gebraucht, sagt der Bürgermeister der Stadt, Marcel Pritsch (FWG).

Pritsch und sein Wabener Amtskollege Steinmetz haben zwei Mal dem Wirtschaftsministerium geschrieben, in der Hoffnung, Hilfe zu bekommen. Das Ministerium verwies auf das Wohnungsaufsichtsgesetz, demnach können Kommunen Wohungen für unbewohnbar erklären und die Mieter rausholen. Dann bräuchte es aber eine alternative günstige Wohnung. Aber auch im ländlichen Raum herrscht Mangel an Sozialwohnungen, wie alle betroffenen Kommunen berichten.

"Solche Finanzierungsmodelle unterbinden"

Bürgermeister Steinmetz fordert, dass die Masche solcher Immobilienfirmen von der Politik grundsätzlich gestoppt wird: "Wir wollen bei der Politik erreichen, dass solche Finanzierungsmodelle unterbunden werden. Jeder, der Wohnungen besitzt, soll seinen Verpflichtungen nachkommen."

Auch die Mieter in Borken haben sich zusammengetan, rund 40 Haushalte haben Mitte Dezember beschlossen, sich einen Anwalt zu suchen. Dafür hat der ehrenamtliche Helfer Rolf Waldeck die betroffenen Wohungen abgeklappert, um zusammen mit den Mietern die Missstände und den Leerstand zu dokumentieren. In 16 Wohnungen gab es laut seiner Liste keine funktionierende Heizung, bei 25 Wohnungen gab es kein warmes Wasser.

Ein Plan der Mieter sei außerdem, die Zahlungen der Mieten einzustellen und das Geld künftig auf ein extra Konto zu überweisen, um dann selbst Reparaturen finanzieren zu können, sagt Waldeck. Immer wieder probierte Waldeck, mit den Eigentümern in Kontakt zu kommen: "Das ist leider nicht möglich, ich habe alles versucht und dann habe ich es aufgegeben.“ Auch der hr bat beim Geschäftsführer der Atlanta Immo Gmbh und der Plan B Private Capital um eine Stellungnahme, eine Antwort kam nicht.

Mieterin: "Wie kann man mit Menschen so umgehen?"

Wenn die Mieter erfolgreich sein sollten, könnte das auch einer Bewohnerin wie Helga Jensch helfen. Die 85-Jährige wohnt seit 55 Jahren in den Plattenbauten in Borken. Wenn sie über ihre Situation spricht, kommen ihr die Tränen. Mit ihrer kleinen Rente müsse sie immer wieder Reparaturen oder Reinigungskräfte für den Hausflur bezahlen, was eigentlich Sache der Vermieter sei.

Es wurde ihr schon angeboten, ihr einen Platz im Altersheim zu organiseren, aber sie gehe nur noch "mit den Füßen zuerst", sagt Jensch. "Wie kann man mit Menschen nur so umgehen?", wäre eine Frage, die sie den Besitzern gerne stellen würde angesichts der Zustände der Häuser.

Im Sportwagen durch Dubai

Im einem der Hausflure in Borken hängt noch ein Zettel der X-Direct Group; die E-Mailadressen der insolventen Firma funktionieren nicht mehr. Einer der Geschäftsführer war Olaf Bothe, derjenige, der jetzt auch Geschäftsführer der aktuellen Eigentümerin Atlanta Immo GmbH ist. Er ist auch Geschäftsführer der Plan B Private Capital mit Sitz in Limburg, die in Wabern und Wildflecken Häuser besitzt und bis vor kurzem in Bad Berleburg aktiv war.

Sein ehemaliger Mit-Geschäftsführer ist Dimitri Parhofer. Der ist nach eigenen Angaben schon vor drei Jahren aus dem Geschäft ausgestiegen und lebt jetzt offenbar in Dubai. Parhofer ist 41 Jahre alt und war bereits Geschäftsführer von 48 GmbHs. Während die X-Direct gerade im Insolvenzverfahren ist, präsentiert Parhofer auf Instagram seinen Lebensstil: Im Dezember veröffentlichte der passionierte Rennfahrer ein Video, in dem er in einem neongrünen Sportwagen durch Dubai braust, neben sich im Cabrio winkend eine Gruppe kleinwüchsiger Männer in Weihnachtskostümen.

Gescheiterte Pläne für Hochhausgerippe in Offenbach

Weitere Videos, die Parhofer bei Instagram teilt, zeigen wie die offenbar als weihnachtliche Wichtel gebuchten Männer in der Dubaier Firma den Baum schmücken und mit Mitarbeitern für Fotos posieren. Die Firma in Dubai hat denselben Namen und ein ähnliches Logo wie die Firma, die bis zuletzt laut den Kommunen Ansprechpartner für die Schrottimmobilien in Deutschland war. Die Dubaier Firma vermarktet laut ihrer Internetseite Luxusimmobilien in Hochhäusern in Dubai.

In Hessen war Parhofers ehemalige Firma X-Direct in Sachen Hochhäuser nicht erfolgreich: Der X-Direct gehörte zwischenzeitlich ein bekannter städtebaulicher Schandfleck am Offenbacher Kaiserlei. Hier kündigte die X-Direct 2018 an, ein "Full-Service-Apartment-Hotel mit 200 Einheiten" zu bauen und dafür 60 Millionen zu investieren. Dann passierte nichts. Wie es mit dem Hochausgerippe nun weitergeht, ist weiter unklar.

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Die ARD-Sendung Report-Mainz hat aktuell über ähnliche Fälle von Schrottimmobilien berichtet. Die 30-minütige Dokumentation "3 Zimmer, Küche, Schimmel" läuft in der ARD-Mediathek.

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Mitarbeit: Leander Löwe

Sendung: hr-iNFO, 21.12.2023, 14 Uhr

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Quelle: hessenschau.de