Secret-Pack-Automat in Cölbe An diesem Automaten gibt es Retouren als Überraschungs-Pakete

Schrott oder heiße Ware für wenig Geld? In sogenannten Retouren-Automaten werden für ein paar Euro Zufallspakete verkauft. Auch in Cölbe gibt es jetzt einen Automaten. Ob neues Smartphone, Hochzeitskleid oder kaputtes Ladekabel - alles ist möglich.

Paket mit geschwärzter Adresse
Zufallspaket: Was da wohl drin ist? Bild © Rebekka Dieckmann
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Martin Pinschmidt hat hier im Vorbeifahren schon öfter Leute anstehen sehen. Jetzt ist gerade weniger los und er will es selbst mal ausprobieren. "Als Joke", meint er - einfach mal gucken was drin ist.

"Aber am liebsten ein Handy natürlich!", sagt Pinschmidt und schiebt einen Zehn-Euro-Schein in den neuen Retouren-Automaten, der seit ein paar Wochen am Ortsrand von Cölbe bei Marburg steht.

Deutschland ist Retouren-Meister

Mit dem Fußball-EM-Titel hat es dieses Jahr nicht geklappt, aber ein anderer Titel ist Deutschland seit Jahren sicher: Retouren-Europameister. Nirgendwo sonst wird so viel bestellt und zurückgeschickt wie bei uns: Fast jede vierte Bestellung wird retourniert, über 500 Millionen Pakete jährlich.

Manche landen wieder im Ladenregal, manche im Müll, manche aber auch hier: Im Retouren-Automaten. Um die Zufallspakete hat sich mittlerweile eine Art regionaler Hype entwickelt, befeuert von den Sozialen Medien.

Hochzeitskleid oder kaputtes Ladekabel?

Der Automat ist eigentlich ein Lebensmittel-Automat. Doch statt regionaler Eier liegen Päckchen aus aller Welt in den Fächern: kleine Versandtaschen aus Pappe, dicke Luftpolsterumschläge, ausgebeulte Plastiktüten. Acht bis zehn Euro kostet jedes sogenannte Secret Pack, die Adressen sind geschwärzt.

Mann vor Automat mit Päckchen drin
Nico Greven verkauft "Secret Packs" in Cölbe Bild © Rebekka Dieckmann

Was in den Paketen drin ist, weiß noch nicht mal Betreiber Nico Greven aus Marburg. "Das kann echt alles sein", sagt er. Der Inhalt gehe von Kleidung über Smartwatches, Haushaltsartikel und Spielzeug bis hin zu echten Ramschprodukten. "Es ist auch schon mal ein Hochzeitskleid oder ein kaputtes Ladekabel drin gewesen."

Pakete bei Versand-Händlern gestrandet

Greven, der eigentlich als Elektriker arbeitet, erzählt: Auf die Idee sei er durch einen Fernseh-Beitrag über einen ähnlichen Automaten in Süddeutschland gekommen. Die Retouren kaufe er bei Großhändlern ein, "für einen Kilopreis", sagt er.

Greven berichtet: Er verkaufe vor allem Pakete, die bei Versandunternehmen hängen geblieben sind, etwa wegen defekter oder falscher Etiketten. "Nach einer gewissen Zeit werden die dann für den Verkauf freigegeben."

Retouren werden palettenweise verkauft

Aber wie kann es überhaupt sein, dass solche Pakete an Orten wie Cölbe stranden? Tatsächlich ist der Umgang mit zurückgeschickten Produkten in den letzten Jahren zu einem zentralen Thema im Online-Handel geworden.

Retouren werden mittlerweile sogar palettenweise verscherbelt: In einem Online-Auktionshaus gibt es beispielsweise schon für 200 Euro eine gemischte Palette mit bis zu 1.000 Zufallsartikeln.

Ein anderer Händler bietet explizit "Amazon-Rückläufer" für rund 2.000 Euro an. Wasserkocher, Gemüseschäler, LED-Birnen und Co haben angeblich einen Warenwert von über 7.000 Euro, heißt es.

Vieles landet allerdings auch auf dem Müll: 2022 hatten Recherchen von Business Insider und dem ZDF-Magazin "Frontal" gezeigt, dass Amazon in den vorherigen zwei Jahren Hunderte Tonnen zum Teil neuer Ware weggeworfen hatte.

Rücksendequote in Deutschland besonders hoch

Bernd Skiera, Professor für E-Commerce an der Goethe Universität Frankfurt, erklärt: Dass in Deutschland mehr zurückgeschickt wird als in anderen Ländern, liege an verschiedenen Faktoren. Einer sei die großzügige Rechtslage: Zwei Wochen gesetzlich gesichertes Rückgaberecht im Online-Handel, das sei längst nicht überall so.

"In anderen Ländern gibt es teilweise gar kein gesetzliches Rückgaberecht", so Skiera. Manchmal seien auch Gebühren fürs Restocking üblich, also das Wiederauffüllen des Lagers.

Skiera meint: Im deutschen Handel habe sich zudem eine Art Selbstverständlichkeit und dadurch ein hoher Konkurrenzdruck entwickelt, Retouren kostenlos anzubieten. Insgesamt gebe es in Deutschland derzeit recht viele Anreize für Verbraucher, Produkte im Internet zu bestellen und wieder zu retournieren.

"Retouren zu überprüfen ist aufwendig"

Warum viele Produkte dann nicht wieder ins normale Sortiment gelangen, sondern an Zweit- oder Dritthändler weitergegeben werden, habe ebenfalls ganz unterschiedliche Gründe, so der Professor.

Manchmal gebe es beispielsweise keine Lagerflächen, etwa weil Händler sogenanntes Drop-Shipping betreiben. Das heißt: Online-Shops lassen ihre Kunden ohne Zwischenlagerung direkt vom Hersteller beliefern. "Wenn dann davon was zurückkommt, hat man keinen Platz dafür."

Händler wollen Kernprodukte nicht "kannibalisieren"

Zudem sei es zeitaufwändig, zurückgeschickte Waren zu überprüfen, möglicherweise zu reinigen oder Mängel zu kennzeichnen. Wenn Händler die B-Waren dann selbst verkaufen, würden sie außerdem Gefahr laufen, ihr eigentliches Kernprodukt zu "kannibalisieren".

Skiera erklärt: Biete beispielsweise ein Smartphone-Hersteller retournierte Smartphones günstiger an, senke er damit die Attraktivität seiner neuen Produkte und schädige möglicherweise die eigene Marke.

Wundertüten 2.0

Nico Greven sagt: Die Pakete ungeöffnet weiterzugeben, lohne sich für ihn mehr, als die Produkte auszupacken, zu sortieren und einzeln zu verkaufen. Wie viel Gewinn er mit dem Automaten bisher gemacht hat, will er nicht sagen. Nur so viel: Er habe das Geld direkt reinvestiert. Demnächst will er noch drei weitere Automaten in der Region aufstellen.

Mann hält Paket mit Klapphandy hoch
Kunde Martin Pinschmidt hatte auf ein Handy gehofft Bild © Rebekka Dieckmann

Die Nachfrage nach den Überraschungs-Päckchen in Cölbe sei jedenfalls enorm, sagt er. "Ich habe in den ersten Wochen schon mehrere hundert verkauft." Wichtig sei für ihn, dass der Kundschaft klar sei: Nicht jeder bekomme ein Smartphone, der Spaß an der Überraschung müsse im Vordergrund stehen. "So wie früher bei den Wundertüten."

Seinen "Joke" bekommt Martin Pinschmidt übrigens tatsächlich: Als er sein Paket ausgepackt hat, hält er ein Handy hoch, wenn auch nicht ganz so eines, wie er es sich vorgestellt hatte. Es ist ein Senioren-Handy zum Aufklappen. Aber immerhin - online wird es für rund 90 Euro gehandelt. "Das werde ich dann wohl weiterverkaufen", sagt er.

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Sendung: hr1, 23.07.2024, 9.16 Uhr

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Quelle: hessenschau.de