Auf Dächern von Stadien, Supermärkten, Lagerhallen Bau von Solaranlagen geht voran, doch es gibt Hürden
Bislang haben nur wenige Gewerbe-Gebäude Solarzellen auf ihren Dächern. In Hessen geht es aber trotz Hürden voran: Eintracht Frankfurt und Darmstadt 98 spielen jetzt unter einem Solardach. Und in Viernheim wird die Dachfläche des früheren Kaufhof-Zentrallagers nachhaltig genutzt.
Mitarbeiter holen Fleisch, Gemüse oder Milch aus den Regalen und füllen damit Essenskisten: Von Viernheim (Bergstraße) aus werden tausende Haushalte mit frischen Lebensmitteln versorgt. Denn in dem früheren Kaufhof-Zentrallager ist jetzt ein Online-Supermarkt untergebracht. Die Einkäufe werden an Kundinnen und Kunden im Umland geliefert.
Ein lukratives Geschäft, das allerdings viel Strom verbraucht. Zahlreiche Lebensmittel müssen gekühlt werden. Ein großer Teil dieser Energie soll nun auf dem Dach des 24.655 Quadratmeter großen Lagers produziert werden. Das Frankfurter Solarunternehmen Enviria hat die Fläche zusammen mit dem Immobilienentwickler Aventos mit einer Photovoltaikanlage ausgestattet.
Strom wird auf Hallendach produziert
"Der Mieter, ein Lebensmittel-Lieferdienst, wird etwas über 50 Prozent des produzierten Stroms auch vor Ort verbrauchen", sagt Ralph Stemper, stellvertretender Enviria-Vertriebsleiter in Frankfurt, dem hr. "Wir sprechen von einem Dach mit rund 18.000 Quadratmetern." Das entspreche etwa zweieinhalb Fußballfeldern. Auf dem Dach seien mehr als 3.300 Solarmodule montiert worden.
Die Solaranlage in Viernheim produziert knapp 1,3 Millionen Kilowattstunden (kWh) Strom. So viel verbrauchten etwa 350 Durchschnittshaushalte in Deutschland im Jahr. Es sollen 600 Tonnen CO2 im Jahr eingespart werden.
Gewerbedächer werden noch selten genutzt
Allein in Hessen stehen mehr als 482.800 Gebäude für Wirtschaft und Gewerbe. Das Solardach auf der Lebensmittel-Lagerhalle ist allerdings noch eine Seltenheit.
Denn bislang ist nur eine geringe Prozentzahl der Gewerbeimmobilien wie Einkaufszentren oder Lagerhallen mit einer Photovoltaik-Anlage (PV) auf dafür geeigneten Dachflächen ausgestattet. Das geht aus der Potenzialstudie Photovoltaik des Landes Hessen aus dem Jahr 2022 hervor. Damals waren es zehn Prozent, und die Zahlen dürften sich seitdem nur geringfügig geändert haben, wie Amrei Pfeiffer, Sprecherin des Wirtschaftsministeriums, auf hr-Anfrage mitteilte.
Studie: Dachflächen sind schwer mobilisierbar
"Die Dachflächen im Bereich von Gewerbe und Industrie sind oft schwer mobilisierbar, weil die Unternehmen andere Prioritäten setzen", heißt es in der Studie. Das Potenzial sei aber groß: Im hessenweiten Dächervergleich sind auf den Gebäuden von Industrie und Gewerbe etwa 35 Prozent des PV-Dachflächenpotenzials zu finden.
Angst vor bürokratischen Hürden
Enviria-Vertriebsleiter Stemper findet nicht, dass Unternehmen die falschen Prioritäten setzen würden. Es gehe in der Immobilienwirtschaft unter anderem um bürokratische Hürden, wie etwa steuerliche Fragen. "Ein Nadelöhr ist das Thema der potenziellen steuerlichen Benachteiligung", sagt Stemper. Wenn ein Immobilienbesitzer zum Beispiel versucht, Strom an seine Mieter zu verkaufen, sei dies kompliziert.
Zudem sind die begrenzten Netzkapazitäten seiner Ansicht nach ein Problem beim Ausbau von Photovoltaik. "Das Netz, so wie wir es kennen, wie es in der Vergangenheit über 50, 60, 70 Jahre aufgebaut wurde, sieht das nicht vor."
In der alten Welt gab es laut Stemper wenige Erzeuger: Atomkraftwerke, Kohlekraftwerke und Gaskraftwerke. Aus diesen dicken Leitungen seien immer dünnere Leitungen geworden, die irgendwann im Einfamilienhaus oder im Gewerbe ankamen.
Netzausbau ist omnipräsentes Thema
"Jetzt hängen an diesen dünnen Leitungen plötzlich fünf Logistikimmobilien, die sehr viel Strom produzieren und diesen Strom, wenn er nicht vor Ort verbraucht wird, ans Netz abgeben wollen", sagt er. Und das sei vielerorts nicht mehr möglich. Das omnipräsente Thema des Netzausbaus sei ein wichtiger Punkt, der die Nutzung von großen Gewerbeflächen heute und wahrscheinlich in Zukunft noch mehr hemmen werde.
Eine Studie der Bergischen Universität Wuppertal bestätigt, dass der Aufwand beträchtlich ist: Bis 2045 werden demnach für den Ausbau der Stromnetze mehr als 500.000 Kilometer Kabel und fast ebenso viele Transformatoren benötigt.
Stadion von Eintracht Frankfurt hat Solar auf dem Dach
Der Verein Eintracht Frankfurt ist unlängst, wie auch andere Fußball-Bundesligisten, über die baulichen und bürokratischen Hürden gesprungen. Die Energie im Deutsche Bank Park kommt künftig nicht nur im übertragenen Sinne von der Tribüne, sondern fließt auch ganz wortwörtlich oben auf dem Dach. Dort ist ein Sonnenkraftwerk entstanden: An das Trapezdach wurden 1.288 Photovoltaikmodule montiert.
Die Module erzeugen nach Angaben von Eintracht Frankfurt künftig über eine halbe Million Kilowattstunden Solarstrom im Jahr für den Deutsche Bank Park. Das Frankfurter Stadion decke mit der Photovoltaik-Anlage rund zehn Prozent seines Eigenbedarfs, es sollen 220 Tonnen CO2 eingespart werden.
Der Verein gibt an, er wolle nicht nur nachhaltig handeln, sondern auch ein Zeichen setzen, dass Klimaschutz machbar und notwendig sei. "Wir wissen, dass der Weg zu mehr Nachhaltigkeit herausfordernd ist - gerade für einen Klub mit einem Stadion, welches fast zwanzig Jahre alt ist", sagt Eintracht-Sprecher Jan Strasheim.
Stadt Frankfurt will alle Potenziale für Solarausbau nutzen
Beim Klimaschutz kooperiert der Verein mit der Stadt und ihrer Gesellschaft Sportpark Stadion Frankfurt sowie dem Stromversorger Mainova. Ohnehin wolle man künftig die Potenziale in der Stadt besser nutzen, sagte Frankfurts Klimadezernentin Tina Zapf-Rodríguez dem hr. Von Dächern städtischer Liegenschaften, von Parkhäusern, Freiflächen beispielsweise entlang von Autobahnen und auch privaten Dachflächen." Als Beispiele nannte sie auch die riesige vertikale Photovoltaik-Anlage am Frankfurter Flughafen sowie Solar auf Schuldächern.
Unternehmen sind laut der Dezernentin nicht verpflichtet, ihre Gebäude mit PV-Anlagen auszustatten. Die Stadt könne nur fördern und motivieren: Seit einem Jahr bietet Frankfurt mit dem Förderprogramm "Klimabonus" Privatleuten, Unternehmen und Vereinen eine finanzielle Unterstützung für Photovoltaikanlagen an. Insgesamt könnten bis zu 100.000 Euro an Fördermitteln bewilligt werden.
Zapf-Rodríguez sieht wie der Enviria-Vertriebsleiter Stempler aber auch Hemmnisse. Der Bau von PV-Anlagen werde bisweilen etwa durch Eigentumsverhältnisse erschwert, meint sie. "Und da, wo Dächer und Flächen nicht im Besitz der nutzenden Unternehmen und Institutionen sind, erschweren Rechtsfragen hinsichtlich der Installation und der Nutzung des erzeugten Stroms den Einbau."
Zudem nennt die Dezernentin als Bremser des Solarausbaus den Fachkräftemangel sowie mögliche Statik- und Elektrik-Probleme.
Auch Darmstadt 98 erzeugt seinen Strom selbst
Auch der Fußball-Zweitligist SV Darmstadt 98 hat auf seinem Stadiondach am Böllenfalltor eine Photovoltaikanlage errichten lassen. Laut dem Versorger Entega ist sie mit ihren 2.900 Modulen fast so groß wie der Rasen des Stadions. Der damit erzeugte Strom wird zum größten Teil im Stadion und im angrenzenden Funktionsgebäude verbraucht.
Interessierte konnten sich zu einem festen Zinssatz von 3,5 Prozent und einer Laufzeit bis 2030 an dem Projekt beteiligen. Eigentlich sollte die Zeichnungsfrist für die Bürgeranteile bis Jahresende laufen. Jetzt hat die Entega mitgeteilt, dass das Volumen von einer Million Euro erreicht sei. Der Versorger hat die Zeichnungsfrist vorzeitig beendet.
Ziel: 80 Prozent des Stromverbrauchs durch Erneuerbare Energien
Dass Profivereine ihre Popularität für nachhaltige Energielösungen nutzen, könnte für die strauchelnde Solarbranche ein Hoffnungsschimmer sein. Und auch die Zeitvorgaben der Regierung könnten die Entwicklung fördern - gezwungenermaßen.
Denn Deutschland will bis 2045 klimaneutral wirtschaften. Bis 2030 sollen laut Bundesregierung mindestens 80 Prozent des Bruttostromverbrauchs aus Erneuerbaren Energien gedeckt werden. Um ihre ehrgeizigen Ziele zu erreichen, hat die Bundesregierung im Mai ein Solarpaket auf den Weg gebracht.
Industrie und Wirtschaft bringt der Zeitplan wohl eher in Zugzwang. "Ich glaube, dass es sich in Deutschland und Europa kein Unternehmer mehr leisten kann, nicht dekarbonisieren zu wollen", sagt Stemper. Denn in der Außenwirkung spiele Nachhaltigkeit eine immer größere Rolle.