Steigende Umsätze Alkoholfreier Wein aus dem Rheingau - auch Joe Biden trank ihn schon

Was beim Bier längst normal ist, nimmt beim Wein gerade erst Fahrt auf: Die alkoholfreie Variante ist noch ein Nischenprodukt, aber die Umsätze steigen rasant. Warum immer mehr Menschen sich dafür entscheiden und was hessische Winzer davon halten.

Flaschen mit alkoholfreiem Wein
Alkoholfreier Wein verzeichnete im vergangenen Jahr ein deutliches Umsatzplus. Bild © picture alliance/dpa | Daniel Karmann
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Es sei "fast schon eine neue Getränkewelt, die sich da erschließt", sagt Lennard Bolte, 21, dualer Student für Mediendesign aus Kassel. Er spricht von alkoholfreiem Wein, also jenem Getränk, bei dem passionierte Weintrinker gern die Nase rümpfen.

Lennard bestätigt damit, wovon Dominik Russler manche Winzer noch überzeugen muss: Es handele sich nicht um mangelhaften Wein, sagt der Geschäftsführer des Rheingauer Weinbauverbands, sondern um ein neues Produkt, mit dem sich neue Zielgruppen erschließen ließen.

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Dass das mit den Zielgruppen funktioniert, zeigen aktuelle Zahlen. Zwar liegt der Marktanteil von alkoholfreiem Wein noch bei unter einem Prozent, doch es gebe ein "wahnsinniges Wachstum", sagt Russler.

54 Prozent mehr Umsatz verzeichnete der Handel laut Deutschem Weininstitut im vergangenen Jahr deutschlandweit, im Vergleich zu 2018 sind es sogar 218 Prozent mehr. Beim herkömmlichen Wein gehen die Zahlen zurück: Mit durchschnittlich 19,9 Litern pro Kopf tranken die Deutschen vier Prozent weniger als im Vorjahr.

Neues Gesundheitsbewusstsein

Wie Lennard sind es oft junge Menschen, die sich für die alkoholfreie Variante entscheiden. Er mag Wein, sagt Lennard, aber wenn er den Geschmack haben und auf Alkohol verzichten könne: umso besser. Er fahre nach dem Feiern gerne selbst nach Hause und fühle sich "einfach wohler" ohne Alkohol, auch wenn er keine generelle Abneigung dagegen habe.

Laut einer Umfrage der Hochschule Heilbronn liegt es vor allem an einem neuen Gesundheitsbewusstsein, dass immer mehr Menschen auf Alkohol verzichten. Alkohol, egal in welchen Mengen, schadet dem Körper, das hat die Deutsche Gesellschaft für Ernährung gerade erst bestätigt. Es gebe "keine risikofreie Menge für einen unbedenklichen Konsum", heißt es in einem im August veröffentlichen Papier.

Doch wie bei Lennard spielen auch andere Gründe eine Rolle, wenn immer mehr Menschen zu Wein ohne Alkohol greifen: Neugier, Experimentierfreude, das Auto, das noch sicher heimgebracht werden soll, oder religiöse Überzeugungen.

Winzer aus dem Rheingau sind zuversichtlich

Für die Winzer geht es vor allem ums Geschäft. Alkoholfreier Wein sei in seinem Betrieb längst keine Nische mehr, sagt Markus Bonsels vom Weingut Bibo Runge in Hallgarten in Oestrich-Winkel (Rheingau-Taunus). Im vergangenen Jahr habe sich der Umsatz verdreifacht, dieses Jahr werde es vermutlich das Sechs- oder Siebenfache.

"Wenn das so weitergeht, werden wir sehr, sehr, sehr groß werden mit alkoholfrei", sagt Bonsels. Sein alkoholfreier Riesling stand sogar auf der Menükarte im Kanzleramt, als US-Präsident Joe Biden neulich zu Gast war.

Kellerei spezialisiert sich auf alkoholfrei

Das Rüdesheimer Weingut Leitz vertreibt inzwischen zwei Millionen Flaschen alkoholfreien Wein pro Jahr. Ein Gemeinschaftsprojekt von Rheingauer Winzern ist bei etwa 150.000 Flaschen jährlich, beim Start vor drei Jahren waren es noch 8.000.

Die knapp 50 Winzer in dem Projekt haben keine eigenen Anlagen zur Entalkoholisierung und geben ihren Wein zusammen in eine spezialisierte Kellerei. Fünf Winzer im Rheingau stellen bereits selbst alkoholfreien Wein her.

Qualität wird immer besser

Die Vorbehalte gegen die alkoholfreie Variante werden auch unter Winzern immer weniger, sagt Dominik Russler. "Süße Plörre" und "nichts für Weintrinker" - das höre er immer seltener. Das liegt auch daran, dass die Qualität der Weine immer besser wird. Bei ersten Prämierungen durch Fachzeitschriften schneiden die hessischen Weine gut ab.

"Ich war auch erst skeptisch", sagt Markus Bonsels vom Weingut Bibo Runge: "Will ich das eigentlich? Kann man das wirklich trinken?", habe er sich gefragt. Inzwischen ist er überzeugt. "Ich kann nur alle aufrufen: Probiert’s mal!"

Auch Student Lennard Bolte hat geschmacklich wenig zu meckern. Die alkoholfreien Varianten seien meist nicht schlechter als irgendein Billigwein und immer öfter wirklich gut.

Vor 100 Jahren im Rheingau erfunden

Neue Herstellungsmethoden helfen, die Qualität der Produkte zu verbessern. Alkoholfreier Wein, der so heißen darf, wenn er maximal 0,5 Prozent Volumenprozent Alkohol enthält, wird immer aus "echtem" Wein hergestellt, dem der Alkohol entzogen wird. Zum ersten Mal wurde das vor über 100 Jahren im Rheingau vom Winzer Carl Jung gemacht.

Heute gibt es verfeinerte Methoden wie das Vakuumverfahren, bei dem der Alkohol durch den Unterdruck schon bei knapp 30 Grad verdampft. So bleiben viele Aromen erhalten. Weil der Wein durch die Entalkoholisierung fast zuckerfrei ist, wird oft Zucker oder Traubenmost hinzugesetzt.

Viele Winzer sind sich inzwischen einig: Geschmacklich lasse sich viel rausholen beim entalkoholisierten Wein, besonders wenn der Grundwein eine hohe Qualität habe.

Teure Herstellung

Unterm Strich kann alkoholfreier Wein den Umsatzverlust beim herkömmlichen Wein jedoch nicht ersetzen, sagt Dominik Russler. Aktuell habe man noch nicht die nötigen Steigerungsraten, es handele sich noch immer um ein Nischenprodukt.

Zudem sei die Herstellung teurer, weil ein zusätzlicher Produktionsschritt nötig ist und weil "hinten weniger rauskommt, als man vorne reingibt". Trotzdem sei der alkoholfreie Wein für jeden Winzer ein Zusatzgeschäft, meint Russler.

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Redaktion: Katrin Kimpel

Sendung: hr INFO,

Quelle: hr, Steffen Clement, hessenschau.de