Jugendwarnstreik in Kassel  "Die junge Generation im öffentlichen Dienst hat mehr verdient"

Rund 150 Azubis haben in Kassel für mehr Geld und eine Übernahmegarantie demonstriert. Die Vergütung reiche kaum, um die Fixkosten zu decken, beklagen sie. Die Aktion ist Teil des bundesweiten Jugendstreiktags. Dazu aufgerufen hatte die Gewerkschaft Verdi.

Streikende Azubis mit gelben Wanrwesten und roten Trillerpfeifen. Sie tragen Verdi-Fahnen und Plakate mit Aufschriften wie "Deine Mudda wird unterversorgt!".
In Kassel sind Azubis aus dem öffentlichen Dienst auf die Straße gegangen. Bild © Christian Vogel/hr
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Jugendstreiktag in Kassel

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Es ist vor allem die Sorge ums Geld, die Nico Dilling am Mittwoch auf die Straße getrieben hat. Der 24-Jährige macht eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten bei der Stadt Kassel. 1.000 Euro verdient er in seinem letzten Lehrjahr, wie er erzählt. "Das reicht in der momentanen Lage nicht mehr." 

Ohne Unterstützung von Eltern und Verwandten laufe es nicht, so Dilling. Gerade eine eigene Wohnung oder ein WG-Zimmer fresse den Hauptteil des Azubi-Gehalts auf. Dazu die Angst, die Ausbildung nicht beim ersten Versuch zu schaffen und weiter auf finanzielle Unterstützung angewiesen zu sein.

Gemeinsam mit rund 150 anderen Auszubilden aus dem öffentlichen Dienst hat er deshalb in Kassel für mehr Geld und eine sichere Übernahme protestiert.

Ein junger Mann mit blonden Haaren steht auf einem großen Platz. Er trägt eine gelbe Warnweste und eine rote Trillerpfeife um den Hals. Im Hintergrund sind Demonstrierende zu sehen.
Nico Dilling nach der Kundgebung am Kasseler Hauptbahnhof. Bild © Christian Vogel/hr

Geld, Urlaub, Übernahme 

Der Jugendwarnstreik war Teil einer bundesweiten Aktion. Verdi hat nach eigenen Angaben mit 4.000 streikenden Azubis an acht Standorten gerechnet, Kassel war dabei der einzige in Hessen. Zusammen zogen die jungen Menschen hier vom Klinikum bis zum Hauptbahnhof.

Verdi sieht die Arbeitgeber in der Pflicht, für Nachwuchs zu sorgen - der wachsende Fachkräftemangel sei in allen Bereichen des öffentlichen Dienstes spürbar. Deshalb müsse dieser für junge Menschen attraktiv bleiben, so Stefan Claus, Landesjugendsekretär von Verdi in Hessen.

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Die Gewerkschaft fordert eine Erhöhung der Vergütungen für Auszubildende, Dual-Studierende und Menschen im Praktikum um 200 Euro im Monat, dazu eine unbefristete Übernahme. Wie für alle anderen Beschäftigten soll es auch für sie drei freie Tage mehr geben, für Gewerkschaftsmitglieder einen weiteren.

"Schon allein, um junge Menschen für die Berufe zu begeistern und auch nach der Ausbildung attraktiv zu bleiben, müssten die Arbeitgeber unseren Forderungen nachkommen, ohne mit der Wimper zu zucken", so Claus. 

"Die Leute haben das satt"

"Wir wollen den Förderungen der Nachwuchskräfte in der Tarifrunde des öffentlichen Dienstes Nachdruck verleihen", sagt auch Maximilian Pawalk, Gewerkschaftsjugendsekretär in Nordhessen. Der Arbeitgeber habe auch in der zweiten Verhandlungsrunde kein Angebot vorgelegt. "Die Leute haben das satt, sagen es reicht und streiken jetzt." 

Die Inflation sei seit der letzten Tarifrunde weiter fortgeschritten, die Preise seien weiter gestiegen, so Pawlack, "deshalb muss die Ausbildungsvergütung endlich steigen". Der Jugendwarnstreik war Teil der erneuten Verdi-Streiks in Kreisen, Städten und Gemeinden in Südhessen sowie in Fulda und Frankfurt am Mittwoch.

"Wir haben als junge Generation viel gelitten"

Nico Dilling ging es beim Streik auch um Sichtbarkeit für den öffentlichen Dienst und dass seine Generation dort "mehr verdient hat". Die Jungen seien bis jetzt häufig hinten runtergefallen, "Politik und die Gesellschaft nehmen uns noch nicht so wahr, wie wir das gerne hätten", so der Azubi.

Erst die Corona-Pandemie, jetzt die Energiekrise - "wir haben als junge Generation viel gelitten". Es gehe allen schlecht damit, zu wenig Geld für Urlaub oder Freizeitaktivitäten zur Verfügung zu haben. Dazu sei es bei so einem niedrigen Einkommen kaum möglich, Rücklagen zu bilden.

Dazu komme der ständige Stress - gerade im Gesundheitswesen - und der Prüfungsdruck. Er kenne Leute, die das irgendwann nicht mehr gepackt hätten, weil sie Geld brauchten und dann als Aushilfe gearbeitet hätten, weil man dort auch ohne fertige Ausbildung mehr verdiene.

Pflege-Azubis im Hamsterrad

Auch Lona Wiemers ist für die Verdi-Forderungen auf die Straße gegangen. Sie macht eine Ausbildung zur Radiologie-Technologin und sieht gerade die Azubis in der Pflege in einem Hamsterrad. "Die Leute überarbeiten sich und werden krank", erklärt sie. Andere übernähmen deren Aufgaben landeten so ebenfalls in Überlastung und Krankheit.

Lukas Völxen und Mirco Kloß machen beide eine Ausbildung zum Erzieher. Wegen des Personalmangels haben sie nach eigenen Angaben zu wenig Zeit für die Kinder. Dazu komme eine Vergütung, die "vorne und hinten nicht reicht", so Kloß. Er hat einen Nebenjob für Miete und Fixkosten - und auch damit er am Ende des Monats noch was zurücklegen kann.

Besser eine Ausbildung in der freien Wirtschaft?

Azubi Dilling wünscht sich mehr Flexibilität - durch ein Zeitkonto. Dann könne er entscheiden, ob er eine Tariferhöhung als Lohn ausgezahlt bekomme oder mehr Freizeit habe. Denn Zeit sei wichtig, beispielsweise für "Vereinstätigkeiten oder politische Aktivitäten", sagt er. 

Streikende Azubis mit gelben Warnwesten und roten Trillerpfeifen. Sie tragen Verdi-Fahnen und Plakate mit Aufschriften wie "Deine Mudda wird unterversorgt!".
"Deine Mudda wird unterversorgt!": Streikende Azubis vor dem Klinikum Kassel. Bild © Christian Vogel/hr

Sollte bei den Tarifverhandlungen nicht mehr rauskommen, sieht der junge Azubi für die Zukunft schwarz. Dann müsse sich künftig jeder genau überlegen, ob eine Ausbildung im öffentlichen Dienst passe oder ob man nicht besser in die freie Wirtschaft gehe.

Redaktion: Stefanie Küster

Sendung: hr-fernsehen, hessenschau,

Quelle: hessenschau.de, Christian Vogel