Rhein-Main-Link Super-Stromtrasse soll eher durch Weinberge als an Autobahn entlang führen
Auf den hessischen Konferenzen der Bundesnetzagentur zur Erdkabeltrasse Rhein-Main-Link hat es Kritik gehagelt. Landwirte fürchten um ihre Felder, Umweltschützer um die Artenvielfalt, Kommunen um ihre Entwicklungsmöglichkeiten. Ein Überblick über die wichtigsten Einwände.
Die Bundesnetzagentur hat zu einer Antragskonferenz zur Stromtrasse Rhein-Main-Link nach Königstein (Hochtaunus) geladen. Rund 250 Menschen sind gekommen. Starkregen prasselt auf das Dach der Halle, als wolle das Wetter noch einmal an das Klima erinnern, das sich draußen immer mehr verändert. Das gilt aber auch für das Klima in der Halle.
Denn hier brodelt es. Kommunen, Umweltschützer, Landwirte und Bürger können ihre Kritik und Bedenken öffentlich vortragen. Und das tun sie. Es sei noch keine Entscheidung getroffen, beteuern Torsten Strothmann vom Referat Bundesfachplanung der Bundesnetzagentur und Sprecher der Planungsfirmen.
Dennoch ist jetzt schon klar, dass der Vorhabenträger des 600 Kilometer langen Rhein-Main-Links, die Firma Amprion, nur im äußersten Notfall außerhalb einer Präferenzstrecke bauen darf. Diesen Korridor hat die Bundesnetzagentur mit Hilfe einer Software und bestehender Geo-Daten ausgetüftelt. Er läuft hier entlang:
Hochheimer Winzer fürchten um ihre Zukunft
Die geplante Trasse führt mitten durch die Weinberge von Hochheim (Main-Taunus). Seit Wochen schon gehen die Winzer auf die Barrikaden. Sie haben eine Petition gestartet und Stellungnahmen eingereicht. Ihre uralten prämierten Weinberge, die zusammen mit der Kirche St. Peter und Paul die Werbeprospekte der Stadt schmücken, sollen von der Trasse durchkreuzt und teilweise gerodet werden.
Winzer Gunter Künstler ist sichtlich angefasst, seine Stimme bebt, als er sagt: "Meine Existenz wäre vorbei, ich müsste 30 Mitarbeiter entlassen und würde den Grand-Cru-Bereich verlieren." Keine Region der Welt, fügt er an, würde so ein Aushängeschild vernichten.
Vertreter der von Amprion beauftragten Planungsbüros werfen Grafiken von zwei möglichen Streckenverläufen durch die Weinberge auf die Leinwand. Ein Alternativvorschlag vom Amprion nimmt noch mehr Raum ein als die ursprüngliche Trassenplanung, wie sich zeigt. Jungwinzer Simon Schreiber fragt ungläubig, wer sich das denn ausgedacht habe. Im Saal bricht Gelächter aus.
Die Winzer haben jetzt einen dritten Verlauf ins Spiel gebracht, der um die Weinberge herumgehen würde. Torsten Strothmann sagt, die Bundesnetzagentur wolle nun den Boden dort ganz genau prüfen lassen. Ob die Alternative ins Hausaufgabenbuch für die Feinplanung der Trasse komme, könne er aber nicht versprechen, sagt Strothmann.
Landwirte wollen nicht wieder Flächen abgeben
Auch viele hessische Landwirte sind beunruhigt wegen der neuen Trasse. Über dem Kabelverlauf dürfen nach Angaben der Planer nur noch einjährige Pflanzen ohne tiefe Wurzeln angebaut werden. Die Jungbäuerin Marina Grölz aus Staufenberg im Kreis Gießen betreibt biologischen Ackerbau. Dafür baut sie unter anderem tiefwurzelnde Leguminosen an. Ohne diese würde sie den Ökostatus verlieren, sagt sie.
Wie andere Landwirte auch befürchtet Grölz, dass bald wertvolle Böden und Kulturen durch die 70 Meter breite Baustelle für den Rhein-Main-Link nachhaltig zerstört oder durch Umspannwerke vernichtet werden. Das gelte auch für Brunnen, die für die Beregnung und damit für die Existenz der Betriebe wichtig seien.
Gerade mehrjährige Dauer- und Sonderkulturen wie Erdbeeren oder Spargel bräuchten mehrere Jahre, bis sie wieder Ertrag brächten, betont Florian Dangel vom Hessischen Bauernverband. Jörg Hirsch vom gleichnamigen Spargel- und Erdbeerhof in Trebur (Groß-Gerau) ergänzt: Selbst wenn ein Anbau über der Erdkabeltrasse wieder möglich wäre, seien seine Vermarktungsmöglichkeiten erst einmal weg. Existenzgefährdend ist das Stichwort. Doch Existenzen darf die Trasse nicht gefährden, das bestätigt Dominik Stunder von Amprion.
Auch wenn viele im Saal die Energiewende befürworten, die Bauern fühlen sich bei der Masse an Infrastrukturprojekten benachteiligt. Zum Ausdruck bringt das Erdbeerbauer Reiner Paul aus Hofheim-Wallau. Er habe in der Vergangenheit schon sehr viel Fläche abgeben müssen: für den Ausbau von Autobahnen, für Radwege. Wo bleiben die Bauern, wenn der Flächenbedarf durch öffentliche Vorhaben weiter wachse, fragt er und fordert: "Wir brauchen auch Fläche zum Produzieren!"
Wälder werden zerschnitten, Berge durchbohrt
Der Rhein-Main-Link soll ab dem Jahr 2033 Windenergie von der Nordsee bis ins hessische Ried bringen. Die Hälfte der Strecke verläuft durch das waldreiche Hessen. In Nord- und Mittelhessen, sagt Martin Pehm vom Planungsbüro ILF, gebe es viele mögliche Verläufe. Ab dem Schwenk in den Taunus mit seinen kleinen Tälern, Seiten- und Steilhängen werde es schwierig. Doch der Rhein-Main-Link müsse da durch, sagt Pehm.
Für ihre Präferenzstrecke suchten die Planer nach kleineren Waldstücken. Dort können sie sich vorstellen, die Trasse in offener Bauweise anzulegen: Gräben durchkreuzen die Wälder. Sie dürften auf 40 Metern Breite über der Kabeltrasse nicht wieder aufgeforstet werden.
Das würde den Wald noch mehr als bisher parzellieren. Für das Regierungspräsidium Darmstadt und die Schutzgemeinschaft Deutscher Wald wäre das ein großes Problem. Christoph von Eisenhart Rothe von der Schutzgemeinschaft erklärt: Wälder müssten dicht bleiben, die Kronendächer zusammenhängen, wenn sie den Klimawandel überleben sollen.
Harald Baacke vom Forstdezernat des Regierungspräsidiums fordert deshalb Freileitungen über den Wald hinweg. Der Rhein-Main-Link sei Teil der Energiewende, aber "die Wälder fungieren als Energie- und CO2-Speicher. Der eine Baustein der Klimaschutzstrategie konterkariert den anderen."
Andere Gebiete wie der Kapellenberg bei Hofheim im Main-Taunus-Kreis mit seinen jungsteinzeitlichen Siedlungsfunden würde nach den derzeitigen Plänen durchbohrt. Martin Pehm vom Planungsbüro ILF spricht hier von geschlossener Bauweise.
Grundsätzlich gilt die Trassenführung per Erdkabel als teurer im Vergleich zur herkömmlichen per oberirdischen Leitungen, allerdings auch als sparsamer im Flächenverbrauch. Auf die Verlegung der vielen für die Energiewende benötigten Super-Stromtrassen unter die Erde legte sich die Bundespolitik vor über zehn Jahren nach massivem Widerstand gegen Hochspannungsleitungen vor allem aus Bayern fest.
Energiehungrige Metropolregion, "überbündeltes" Bischofsheim
Bis 2045 rechnet die Firma Amprion mit einem Energiebedarf im Rhein-Main-Gebiet von 96 Terawattstunden, das wäre im Vergleich zu heute (34 Terawattstunden) ein Anstieg um 180 Prozent. Gerade Frankfurt als Internetknotenpunkt braucht viel Energie. Hinzu kommen mehr Wärmepumpen, mehr E-Autos und eine zunehmend elektrifizierte Industrie. Der Rhein-Main-Link soll für eine Übertragungsleistung von insgesamt acht Gigawatt sorgen.
Vor allem kleinere Kommunen in der dicht besiedelten Metropolregion fühlen sich von solchen großen Infrastrukturprojekten regelrecht eingeengt. Der Main-Taunus-Kreis fordert deshalb, Autobahnen und Industriebrachen für den Verlauf der Super-Stromtrasse zu nutzen.
Doch da wiegeln die Planer ab. Konverteranlagen, die den Gleichstrom aus dem Erdkabel in Wechselstrom für den Gebrauch umwandeln, müssten dort gebaut werden, wo der Strom letztlich benötigt wird. Autobahnen hätten zudem Betriebsanlagen und Wasserableitungen und müssten zudem ausbaufähig bleiben. In gerodeten Streifen dürfe Amprion nicht bauen.
Sehr emotional tritt dann die Bürgermeisterin von Bischofsheim, Lisa Gößwein, ans Mikrofon. Im Kreis Groß-Gerau seien sie die kleinste Flächengemeinde und die am dichtesten besiedelte. Bischofsheim sei umzingelt von Autobahnen, Bahntrassen, von Hochspannungsleitungen und Pipelines für den Flughafen. Jetzt kämen der Rhein-Main-Link und vielleicht der Ausbau der A60 auf sechs Spuren hinzu.
"Wir können nicht noch mehr hinnehmen", sagt Gößwein und bekommt lauten Beifall. Trotzdem, sagt sie, sei "Not in my backyard" (dass Infrastrukturprojekte nicht vor der eigenen Haustür umgesetzt werden sollen, Anm. d. Red.) nicht ihre Haltung. Die Stadt Bischofsheim setze sich ein für die Energiewende, aber so bleibe eben kaum noch Platz für Naherholung und Natur.
Vertreter anderer Kommunen sorgen sich um die Entwicklungsmöglichkeiten ihrer Orte. Dabei geht es zum Beispiel um Wohngebiete, deren Bau der Rhein-Main-Link verhindern würde.
Natur- und Artenschutz ist eingeschränkt
Der Bund für Umwelt- und Naturschutz (BUND) lässt kaum einen Tagesordnungspunkt aus. Er hält die Berechnungen für den Energiebedarf insgesamt für überdimensioniert und die lokale Energiegewinnung für unterrepräsentiert. Richtig sauer ist Werner Neumann vom BUND vor allem, weil der Punkt Umweltbelange ganz am Ende der Konferenz behandelt werde: "Es ist der wichtigste Punkt, und jetzt sind viele Leute weg!"
Für die grobe Strecke, die für den Rhein-Main-Link festgelegt ist, sind Arten- und Naturschutzbelange sowie Geo-Daten bis Mai in die Software eingespielt worden. Neue Artenschutzargumente hätten für die nächsten Jahre keine Wirkung mehr, Artenschutz spiele keine hervorgehobene Rolle bei der Trassierung, sagt Martin Pehm vom Planungsbüro ILF. Das Argument lautet, dass die Energiewende nicht endlos aufgehalten werden dürfe.
Wasserversorgung für die Metropole schützen
Auf der Konferenz der Bundesnetzagentur in Bürstadt meldet sich Daniele Caccamo vom Versorger Hessenwasser zu Wort. Die südlichste Leitung des Rhein-Main-Links mit einer Konverteranlage soll in der Gemarkung Lampertheim (Bergstraße) gebaut werden. Die Leitungen queren das hessische Ried, das unter anderem die Metropole Frankfurt mit frischem Wasser versorgt.
40 Konfliktpunkte zwischen der Super-Stromtrassen und seinen Versorgungsleitungen hat Hessenwasser ausgemacht. Außerdem macht sich Daniele Caccamo Sorgen um die Erwärmung der Böden. Nach Angaben von Amprion wird der Kupferkern der Erdkabel im Inneren bis zu 90 Grad heiß. Deshalb sind die Kabel isoliert. Tests hätten ergeben, dass sich der Boden über den Kabeln nur um ein Grad erwärme, sagt Dominik Stunder von Amprion.
Wie das Wasserversorgungsnetz im Ried gekreuzt werden kann, ist ein weiterer Punkt für das sogenannte Hausaufgabenbuch von Amprion. Die Liste an Bedenken und Einwänden ist nach den drei hessischen Antragskonferenzen gewachsen. Manch einer der Redner befürchtet, dass am Ende doch alles schon feststehe, die Konferenz nur eine Show sei. Amprion versichert, dass sei nicht der Fall.