Trinkwasser und Schokolade Umweltschützer kritisieren Baugenehmigung für Ferrero
Ferrero plant einen millionenschweren Fabrik-Umbau in Stadtallendorf. Das sorgt für Unmut bei Umweltschützern. Denn: Ferrero darf teilweise im Wasserschutzgebiet und in der Nähe einer Altlasten-Fläche aus der NS-Zeit bauen. Was ist dran an der Kritik?
Wer hätte gedacht, dass Süßigkeiten so sauer machen können? Zumindest im Fall von Marc Strickert ist das so. Strickert ist wütend. Nicht nur auf den italienischen Süßwarenkonzern Ferrero, sondern auch auf die Behörden.
Der Bioinformatiker aus Gießen engagiert sich in der Klimaschutzbewegung "Parents and Scientists for Future". Er kann nicht nachvollziehen, warum das Regierungspräsidium (RP) Gießen den Bau einer neuen Ferrero-Produktionshalle unter Auflagen genehmigt hat.
Ferrero will modernisieren
170 Millionen Euro will der Süßwarenriese in seinen Standort in Stadtallendorf (Marburg-Biedenkopf) investieren, vor allem für die Modernisierung der Produktion von Mon-Cherie-Pralinen. Mit rund 5.000 Angestellten ist Ferrero einer der wichtigsten Arbeitgeber in der Region.
Umweltschützer und Anwohner hatten schon während des Genehmigungsverfahrens zahlreiche Einwände geäußert, vor allem bezüglich der heiklen Lage der Baustelle und des Trinkwasserschutzes. Jetzt kritisieren sie, dass das Regierungspräsidium den Umbau trotzdem genehmigt hat.
Trinkwasser und Altlasten
Der Hintergrund: Die Region gilt als eine der wichtigsten Trinkwasserressourcen Hessens. Zum Teil soll der Bau im Wasserschutzgebiet II passieren, wo Bauarbeiten normalerweise nicht erlaubt sind. Direkt gegenüber befindet sich das Stadtallendorfer Wasserwerk.
Dazu kommt: Auf dem Ferrero-Gelände befindet sich außerdem eine Verdachtsfläche, die bis heute als potenziell mit sogenannten PAK (polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe) belastet gilt - Altlasten aus der NS-Zeit, als sich in Stadtallendorf die größte Sprengstofffabrik Europas befand.
Komplexes System zur Trinkwassersicherung
Die Trinkwasserentnahme rund um Stadtallendorf basiert auf einem komplexen hydrogeologischen System: Abschöpfbrunnen pumpen potenziell belastetes Wasser aus höheren Erdschichten ab, sodass es nicht in tiefere Grundwasserströme sickern kann, aus denen Trinkwasser gefördert wird. Überprüft wird die Schadstoffbelastung mit zahlreichen Messstellen.
Thema war diese spezielle Konstellation aus Altlasten, Trinkwasserentnahme und Bauarbeiten bereits im Konflikt um den Ausbau der A49, nur wenige Kilometer vom Ferrero-Gelände entfernt. Die Autobahn befindet sich trotz intensiver Proteste und jahrelanger juristischer Auseinandersetzungen im Bau.
Abschöpfbrunnen wird zeitweise abgestellt
Besonders Sorgen bereitet den Umweltschützern nun, dass ein Abschöpfbrunnen und mehrere Messstellen auf dem Ferrero-Geländes während der Bauarbeiten vorübergehend abgeschaltet werden sollen. "Damit entfällt die Kontrolle, was auf dem Gelände passiert", kritisiert Strickert.
Strickert meint: Es handle sich hier um eine "historisch bedingte Risikolage", in die man "nicht ohne Not eingreifen" sollte. Aus seiner Sicht stelle das RP mit der Genehmigung nun die Interessen eines internationalen Konzerns vor die von Menschen und Umwelt.
RP erklärt Genehmigung
Beim Regierungspräsidium Gießen erklärt man die Genehmigung nach hr-Anfrage sinngemäß so: Ja, es gebe eigentlich ein Bauverbot im Trinkwasserschutzgebiet II, aber wenn durch "bau- und betriebszeitige Maßnahmen" die Gefährdung des Trinkwassers ausgeschlossen werden könne, müsse die Behörde eine Genehmigung erteilen. Gewährleistet werden soll der Trinkwasserschutz durch einen umfassenden, öffentlich einsehbaren Auflagenkatalog, den Ferrero beim Bau und während des Betriebs der neuen Anlage beachten muss.
Auch die vorübergehende Außerbetriebnahme des Abschöpfbrunnens führe nicht zu einer Beeinträchtigung der Grundwassersicherung, so das RP. Aufgrund der langsamen Fließzeiten des Grundwassers könnten Schadstoffe auch nach einer Unterbrechungszeit des Brunnenbetriebs von bis zu 100 Tagen noch abgeschöpft werden.
Bauarbeiten unter Auflagen
Vorausgegangen waren der Entscheidung eine Umweltverträglichkeitsprüfung und ein Verfahren, in dem Bürgerinnen und Bürger Einwendungen äußern konnten. Insgesamt waren 34 Einwendungen gemacht worden. Hier hieß es in einer Antwort des RP: Das Risiko von erheblichen Grundwasserbeeinträchtigungen könne durch Auflagen derart minimiert werden, dass sie "nach menschlichem Ermessen auszuschließen" seien. Ein Restrisiko sei zwar jeder Maßnahme immanent, dies rechtfertige jedoch nicht, Ferreros Antrag abzulehnen.
163 Seiten umfasst die Genehmigung. Sie listet zahlreiche Maßnahmen auf: etwa wo Baumaschinen stehen und betankt werden dürfen, wie mit Bodenaushub aus der Verdachtsfläche zu verfahren ist oder in welchem Umfang Proben genommen werden müssen. Auch ein "Notfallplan für Unfälle mit wassergefährdenden Stoffen" ist vorgeschrieben.
Ferrero: Gefahren ausgeschlossen
Das Unternehmen selbst teilt auf hr-Anfrage mit: Durch "festgesetzte Nebenbestimmungen" würden Gefahren für das Grund- und Trinkwasser durch einen Bodeneingriff ausgeschlossen. Man treffe gründliche Vorkehrungen, während der Bauarbeiten solle eine kontinuierliche, unabhängige Beprobung erfolgen.
Ferrero betont: Der Ausbau sei von "erheblicher Bedeutung" für die Sicherung des Standortes und den Erhalt von Arbeitsplätzen. Zudem werde die neue Produktionsanlage deutlich effizienter und nachhaltiger sein, etwa durch Rückgewinnungssysteme und Photovoltaik.
Wasserwerke sehen Bau ohne akute Sorge
Zuständig für die Trinkwasserförderung in Stadtallendorf und insgesamt für die Versorgung von etwa einer halben Million Menschen ist der Zweckverband mittelhessischer Wasserwerke (ZMW). Geschäftsführer Thomas Brunner (SPD) sieht derzeit keinen akuten Grund zur Sorge. Er erklärt: Positiv sei, dass das Bauvorhaben nicht so weit in die Tiefe rage, dass es in das Grundwasserstockwerk eingreift, in dem der ZMW fördert.
Die Auflagen an Ferrero würden auch seiner Sicht ausreichen, um das Risiko einer Gefährdung zu minimieren. Zudem gebe es regelmäßige Beprobungen. "Wenn doch etwas passieren sollte – was wir ja alle nicht hoffen – würden wir frühzeitig informiert werden und könnten reagieren."
Umweltschützer planen Klage
Die Umweltschützer überzeugt das alles nicht. Strickert bleibt dabei: Dieser Eingriff sei unnötig. "Es gibt schon genug billige Schnapspralinen auf der Welt, dafür aber immer weniger zusammenhängende Lebensräume, intakte Wälder und reines Grundwasser", sagt er.
Die Umweltschützer prüfen nach eigenen Angaben derzeit eine Klage gegen das Bauvorhaben.