Grafik: Eine Hand hält ein Smartphone, auf dessen Bildschirm "PRIVAT-NOT-ARZT" in drei Zeilen und orangfarbener Schrift steht. Darüber der Kopf eines Äskulap-Stabs und darunter ein roter "Pay"-Button, der von einem Zeigefinger gedrückt wird. Der Hintergrund ist rot-weiß gestreift.

Der Notdienst VeritasMed aus Frankfurt behandelt privatversicherte Patienten zu Hause und rund um die Uhr. Dafür verlangt er schon mal 1.000 Euro. Trotz zahlreicher Beschwerden bei der Landesärztekammer macht der Anbieter einfach weiter.

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Aufregung um teuren privatärztlichen Notdienst in Frankfurt

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Als Frank Gebertz im November 2022 nach ärztlicher Hilfe suchte, fühlte er sich schlapp und fiebrig. Im Internet stieß der 54-jährige IT-Experte auf den privatärztlichen Notdienst VeritasMed. Kurz nach seinem Anruf kam der Arzt zu ihm nach Hause. Gebertz erinnert sich, dass der Mediziner schnell fertig gewesen sei mit Anamnese und Untersuchung. Das Aufwändigste sei eine Lungensonographie mit einem mobilen Ultraschallgerät gewesen, sagt er. Dafür liegt der Kostenpunkt gemäß der für die Abrechnung von Privatpatienten gültigen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) bei rund 50 Euro.

Weil er am folgenden Tag Panikattacken gehabt habe, habe er den Arzt gebeten, noch mal zu kommen. Bei den folgenden Treffen habe der Arzt vor allem mit ihm gesprochen, erzählt Gebertz weiter. Danach dann der Schock für ihn: Für die vier Hausbesuche von jeweils rund 20 Minuten Dauer berechnete der Doktor 5.500 Euro.

"Keine ärztliche Berufsausübung im Umherziehen"

Doch damit nicht genug. Wenn Ärzte keine Niederlassung haben, sind die privaten Krankenversicherungen nicht verpflichtet, ihre Rechnungen zu begleichen. Aus Gründen der Hygiene und Qualitätssicherung wollen die Kassen "keine ärztliche Berufsausübung im Umherziehen" fördern. Damit drohen Privatpatienten auf derart hohen Notdienst-Kosten wie im Fall von VeritasMed sitzen zu bleiben.

Die Krankenversicherung von Frank Gebertz jedenfalls weigerte sich aus diesem Grund zunächst, seine Auslagen zu begleichen, denn die Ärzte von VeritasMed haben nach ihrer Darstellung keine Niederlassung. Der privatärztliche Notdienst-Anbieter bestreitet das.

Frank Gebertz glaubt, der Arzt habe sicher gedacht, mit ihm leichtes Spiel zu haben, "weil ich psychisch in keiner guten Verfassung war". Er hält das für ein besonders verwerfliches Verhalten für einen Arzt.  

Arzt berechnete Gebärmutter-Eingriff - bei einem Mann

Einzelne Positionen auf der Abrechnung des VeritasMed-Arztes, die dem hr vorliegt, stechen ins Auge. So verlangte er für einen Corona-Test 500 Euro. Für eine "vaginale oder abdominale Totalexstirpation des Uterus mit Adnexentfernung" wollte er 800 Euro - das wäre eine Operation an der Gebärmutter und damit aus biologischen Gründen bei einem Mann gar nicht möglich.

Zwar können Ärzte gemäß GOÄ analog abrechnen, das heißt, eine Leistung, die in dem Katalog nicht aufgeführt wird, wie eine vergleichbare Leistung berechnen. Aber in seinem Fall habe es nichts gegeben, was nur im Entferntesten mit einem Eingriff an der Gebärmutter oder am Unterleib zu tun hatte, versichert Gebertz: "Ich habe den Eindruck, der Arzt wollte eine Art Antrittsgeld dafür, dass er bei mir war."

Experte: Im Fall von Irreführung nicht zahlen

Der hr hat dem Mainzer Fachanwalt für Medizinrecht, Alexander Dorn, die Abrechnung des Arztes vorgelegt. Dorn charakterisiert die Leistungen im Fall Gebertz als "grotesk". Sie stünden nicht in Einklang mit der GOÄ und könnten in der Form nicht abgerechnet werden.

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Umstrittener privatärztlicher Notdienst VeritasMed

Eine 1.000 Euro Geldnote, grafisch nachgebildet, mit einem Kreuz und einem Äskulap-Stab in der Mitte.
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Der Rechtsanwalt hält grundsätzlich fest: "Es gehört zu den Aufklärungspflichten eines Arztes, seine Patienten im Vorhinein über die wirtschaftlichen Folgen seiner Behandlung zu informieren." Habe der Arzt von VeritasMed das nicht getan, halte er das für einen Fall von Irreführung und für rechtlich nicht haltbar.

Heißt: Aus Sicht von Dorn hat Gebertz oder ein anderer Patient keine Veranlassung, VeritasMed Geld zu geben - auch dann nicht, wenn wie im vorliegenden Fall eine private Krankenversicherung aus Gründen der Kulanz einen aus ihrer Sicht angemessenen Teil der Rechnung bezahlt hat.

"VeritasMed ließ Beschwerden bei Google offenbar löschen"

Auch Leonid Karlinski wusste nach eigener Darstellung nicht, dass er die Kosten, die der Arzt von VeritasMed für die Behandlung seiner kleinen Tochter in Rechnung stellte, aus eigener Tasche zahlen sollte. "Meine Tochter war erkältet, es war Wochenende, da war ich natürlich froh, dass der Arzt schnell da war", erzählt er.

Auch bei ihm kam ein böses Erwachen. Die knapp 600 Euro, die VeritasMed für den Hausbesuch im März 2024 in Rechnung gestellt hatte, wollte seine Versicherung nicht bezahlen. Karlinski aber auch nicht. Die ursprüngliche Forderung verdoppelte sich nach kurzer Zeit im Inkassoverfahren.

Karlinski ging mithilfe eines Anwalts gegen die aus seiner Sicht überhöhte Rechnung vor. Und er wandte sich an den hr. "Es gab bei Google Rezensionen zahlreiche Beschwerden, die VeritasMed offenbar immer wieder löschen ließ", sagt er. Inzwischen hat er eine kleine Gruppe von mutmaßlich Geschädigten um sich gesammelt, die sich auch öffentlich wehren.

Folgeanamnese berechnet - bei nur einem Termin

Unter ihnen ist eine 92-jährige Frankfurterin. Aus Sorge um ihre erkältete Mutter suchte ihre Tochter Anja Grösch an einem Sonntagabend nach einem privatärztlichen Notdienst. Sie stieß auf VeritasMed, von Google derzeit unter den ersten zehn Treffern aufgelistet. Ein Arzt des Anbieters kam ins Haus, untersuchte die alte Dame, verschrieb ihr ein Antibiotikum und berechnete ihr für den rund 20-minütigen Hausbesuch rund 900 Euro.

Auf der Rechnung tauchte eine "homöopathische Folgeanamnese" auf, die der Arzt mit dem Zehnfachen des in der GOÄ dafür vorgesehenen Satzes ansetzte. Eine Folgeanamnese setzt voraus, dass der Arzt ein weiteres Mal gekommen wäre. Doch folgt man seiner eigenen Rechnung, gab es nur einen einzigen Hausbesuch.

Landesärztekammer warnt vor Wucher

In ihrer gutachterlichen Stellungnahme zu dem Fall verortet die Landesärztekammer Hessen (LÄKH) diese Rechnungsposition im Bereich des Unlauteren. "Die Vervielfachung des Gebührensatzes sollte nicht zu einem auffälligen/unangemessenen Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung führen, da andernfalls von Wucher oder einem wucherähnlichen Rechtsgeschäft auszugehen sein könnte", heißt es in dem Schreiben, das dem hr vorliegt.

Anja Grösch ärgert sich besonders darüber, dass der Arzt die Patientendaten ihrer Mutter an ein Inkassounternehmen weitergegeben habe, ohne die dafür notwendige Zustimmung zu haben. Im Inkassoverfahren stieg die ursprünglich erhobene Forderung von rund 900 Euro auf etwa 1.700 Euro.

Kein Schild am angeblichen Praxissitz

Auf konkrete Fragen zu den vorliegenden Fällen ging VeritasMed bislang nicht ein. Der Mediziner, der hinter dem privatärztlichen Notdienst steht, verweist auf seine ärztliche Schweigepflicht. Der hr wollte von ihm unter anderem wissen, wo er seine Praxis hat. Schweigen auch dazu.

In früheren Auseinandersetzungen gab der Arzt an, seine Praxis sei am Firmensitz von VeritasMed. Doch an dem Bürogebäude nahe des Frankfurter Messegeländes befindet sich weder ein Praxisschild noch eine Klingel.

Die Mitarbeiterinnen am Empfang des von etlichen Firmen genutzten Gebäudes bestätigen dem hr vor Ort, dass VeritasMed hier ein Büro habe. Aber Patienten würden dort nicht empfangen. Wie auch? Um zu den Büros zu kommen, benötigt man eine elektronische Zugangskarte für die einzelnen Etagen.

Fünf Verfahren beim Berufsgericht gegen Arzt

Mindestens seit 2022 wissen die Landesärztekammer Hessen und die Staatsanwaltschaft Frankfurt von der fragwürdigen Abrechnungsmasche von VeritasMed. Gestoppt hat das den privatärztlichen Notdienst nicht.

Frank Gebertz beschwerte sich Ende 2022 bei der LÄKH über den Anbieter. Die Kammer berichtet auf hr-Anfrage, es gebe ein berufsrechtliches Verfahren gegen ihr Mitglied. Aber was genau das bedeutet und welche Folgen das für VeritasMed haben könnte, dazu sagt sie nichts. Die LÄKH gibt grundsätzlich keine weiteren Auskünfte zu solchen Verfahren.

Die Vorsitzende des Berufsgericht für Heilberufe berichtet auf hr-Anfrage, dass seit Herbst 2023 fünf Verfahren gegen den Arzt eingegangen seien. Die Verfahren und mögliche Urteile seien nicht öffentlich, so die Richterin am Verwaltungsgericht Gießen. 

Staatsanwaltschaft stellte Ermittlungen ein

Bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt stellte Gebertz außerdem Strafanzeige wegen des Verdachts auf Abrechnungsbetrug. In einem Schreiben bestätigte ihm die Behörde, dass sie von weiteren Beschwerden gegen VeritasMed bei der LÄKH wisse.

Doch für die Strafermittler war das offenbar kein Anlass, dem Fall weiter nachzugehen. Auf hr-Anfrage berichtet ein Sprecher, dass die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen in dem angesprochenen Komplex mit Zustimmung des Amtsgerichts Frankfurt eingestellt habe. Als Bedingung dafür musste der Arzt nach hr-Informationen 2.000 Euro zugunsten einer gemeinnützigen Organisation bezahlen.

Für den Medizinrechtler Dorn bleiben die Ermittler weit hinter dem zurück, was sie tun könnten, um Patienten vor solchen fragwürdigen Abrechnungen zu schützen: "Die Staatsanwaltschaft wäre hier vielleicht gehalten gewesen, weitere Ermittlungen durchzuführen, um zu schauen, ob nicht auch in anderen Fällen falsch abgerechnet worden ist."

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