Volkswagen in der Transformation Zwischen Lust auf Aufbruch und Sorge vor Veränderung

Bei Volkswagen stehen alle Zeichen auf Transformation hin zur E-Mobilität - auch im VW-Werk Kassel. Mit ungewöhnlichen Mitteln versucht der Betriebsrat, die Belegschaft für die neue Zeit zu begeistern.

Abendstimmung: Blick auf das VW-Werk in Baunatal (Kassel)
Blick auf das VW-Werk in Baunatal (Kassel) Bild © Volkswagen
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Alt und neu liegen im Volkswagenwerk Kassel nah beieinander: nur ein Schritt trennt die Vergangenheit von der Zukunft. Besonders deutlich wird das derzeit "in der Aga", im Abgasanlagenbau in Halle 2. Noch immer werden jährlich zwei Millionen Anlagen für Verbrenner gebaut.

Zugleich entstehen auf der Fläche neue Produkte und Antriebe, wie der APP 550, ein Elektroantrieb, den Volkswagen für seine ID-Modellfamilie baut. Für die gut 600 Beschäftigten bedeutet das eine Umstellung.  

Stolz auf das, was bei Volkswagen entsteht

Aylin Kececi hat den Switch von der einen zur anderen Welt schon hinter sich. Die Nachwuchsmeisterin für den Bereich Diesel und Abgasanlagenfertigung arbeitet bereits für die E-Mobilität. 

Früher sei sie immer ganz stolz gewesen, wenn sie einen VW-Diesel auf der Straße sah. Dieses Gefühl hat sie inzwischen auf die E-Modelle übertragen. "Ich denke dann: am Bau dieses Fahrzeugs bin ich dabei und daran beteiligt, das auf die Straße zu bringen", sagt sie.

Aylin Kececi steht in Halle 2 im VW-Werk Kassel. Hinter ihr sieht man das Hallendach und einige Maschinen aus der Abgasanlagenfertigung.
Aylin Kececi (Nachwuchsmeisterin für den Bereich Diesel und Abgasanlagenfertigung): Stolz auf das, "was wir auf die Straße bringen". Bild © hr/Stefanie Küster

Der Bereich der Abgasanlagenfertigung ist für das Volkswagenwerk Kassel ein wichtiges Transformationsprojekt - für die Menschen am Band heißt der Wechsel in die E-Mobilität vor allem eins: Sie haben es mit neuen Maschinen zu tun, mit neuen Aufgaben und neuen Kollegen.

Das Werk in Baunatal (Kassel) ist mit 16.000 Beschäftigten das weltweit größte Komponentenwerk von Volkswagen und zugleich der größte Arbeitgeber in Nordhessen. Neben der auslaufenden Fertigung von Abgasanlagen werden hier Getriebe und E-Getriebe gefertigt.

Volkswagen steht unter Druck. Zum einen haben die Zahlungen aus dem Diesel-Skandal von 2015 ein tiefes Loch in die Unternehmenskasse gerissen. Allein in den USA zahlte VW für die Abgasmanipulation mehr als 20 Milliarden US-Dollar Strafe. Dazu kommt das schwierige China-Geschäft. Einst habe VW hier 40 Prozent Umsatz und Renditegezogen, so Carsten Büchling, Betriebsratsvorsitzender vom Volkswagenwerk Kassel.

Diese Zeiten sind vorbei. Der chinesische Markt ist für den deutschen Autobauer eine Herausforderung geworden, auch weil immer mehr Startups den Markt erobern. Sie haben nicht mit alten Strukturen zu kämpfen und können die nötige Software für die E-Mobilität selbst liefern. Dem hat Volkswagen entgegen gewirkt und 2020 mit Cariad eine eigene Software-Marke gegründet.

Doch jetzt könnten auch noch die EU-Strafzölle auf importierte E-Autos aus China dem deutschen Autobauer das Geschäft vermasseln. Denn sollten die Verteuerung kommen, könnte die chinesische Regierung Gegenmaßnahmen treffen, von der auch die Exporte von VW betroffen sein könnten. Dazu ist BYD auf dem europäischen Kontinent längst auf dem Vormarsch. Der chinesische Autohersteller hatte zuletzt angekündigt, ein Werk in der Türkei zu bauen. Schon im ersten Quartal 2024 waren 24 Prozent der neu zugelassenen E-Autos aus China.

Zweifel am Erfolg des Produkts

Auch Kecicis Kollege Philipp Langenberg ist in der neuen Welt schon angekommen. Er arbeitet als Bindeglied zwischen VW und dem Zulieferer der neuen Maschinen für den Bau der E-Auto-Komponenten.

Dass manch ein Kollege von der Transformation wenig begeistert ist, kann er allerdings verstehen. Gerade die, die Jahrzehnte hier arbeiten, täten sich schwer damit, erzählt er - auch, weil sie am Erfolg des Produkts zweifeln.

Schließlich wisse man nicht ob "der Elektroantrieb der Heilsbringer ist, der gekauft wird", so Langenberg. Daraus könne auch eine Angst vor einem Arbeitsplatzverlust entstehen.

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Was die Menschen bei Volkswagen Kassel zur Transformation sagen

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Studie zeigt Vorbehalte unter VW-Mitarbeitern

Diese Zweifel unter der Belegschaft hatte kürzlich eine Studie der Uni Jena bestätigt. Der Soziologe Klaus Dörre hatte hierfür 60 Tiefeninterviews mit Mitarbeitern im Werk geführt - vom Management bis hin zu den Menschen am Band.

Die Studie habe gezeigt, dass viele Mitarbeiter Ängste hätten, ihren Status durch die Veränderung zu verlieren, erklärt Laura Wille, Unterabteilungsleiterin in der Personalabteilung. Deshalb sei es so wichtig, diese Menschen mitzunehmen und am Prozess teilhaben zu lassen.

Die Gespräche hatten aber auch gezeigt, dass sich die Beschäftigten in Baunatal wohlfühlten - auch weil am Standort eine Beschäftigungs- und Einkommenssicherung bis 2029 bestehe, so Wille.

Standortstrategie Kasseler Weg 2030

Was Beschäftigten in der Transformation Sicherheit geben soll und zugleich das VW-Werk Kassel von anderen Volkswagen-Produktionsstätten unterscheidet, ist der "Kasseler Weg", eine gemeinsame Standortstrategie von Betriebsrat und Management.

Diese hatte die Mitarbeitervertretung bereits vor 15 Jahren angeschoben, seitdem wurde sie immer weiterentwickelt. Es fußt auf drei Säulen: der sozialen Verantwortung, der Wirtschaftlichkeit und dem Klimaschutz.Jetzt soll auch die Transformation Bestandteil des Kasseler Weges werden. Denn es gebe Unterschiede darin, wie Beschäftigte mit den Zielen von Volkswagen übereinstimmten, so Wille.

Begeisterungsprojekte für die E-Mobilität

Je näher dran am Hallenboden, desto mehr überwiegt auch die Skepsis gegenüber dem Weg, den Volkswagen eingeschlagen hat - das ist das Fazit, das Dörre bei seiner Studie zieht.

Oben in der Managementebene sei ganz klar, dass diese Transformation gewollt sei, sagte Wille. Am Band sei das anders, "gerade, weil die Menschen dort die Veränderung an sich selbst spüren".

Transformation bei Volkswagen: in Halle 2 sind Teile der Abgasanlagenferigung sind bereits umgebaut.
Blick von der neuen in die alte Welt: Teile der Abgasanlagenfertigung sind schon umgebaut. Bild © hr/Stefanie Küster

Personalabteilung und Betriebsrat haben deshalb ein Projekt initiiert, um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der E-Mobilität zu überzeugen. Es gehe darum ein "positives Mindset zur E-Mobilität" zu versprühen, erklärte Wille. Dazu sollen vier Begeisterungsprojekte für alle Mitarbeiter entstehen.

Geplant sind neben strategischen Teamgesprächen zur Transformation und einer Betriebsversammlung mit Expertendiskussion zur E-Mobilität eine "Wandel-Tour" durchs Werk, um zu zeigen, was vor Ort entsteht.

Höhepunkt ist ein Fahrevent mit der E-Wagenflotte von VW. "Wir brauchen die Berührungspunkte", so Wille. Jeder solle einmal in einem E-Auto sitzen, um ein Gefühl dafür zu kriegen. "Das wird ein Aufwand, aber das ist uns wichtig".

Wie der Umstieg von Lego auf Fischertechnik

Die Kollegen begeistern, das will auch Florian Eimer. Er hat mit seinem Team am Standort etwas ganz Neues entwickelt: eine Batteriewanne. Stolz zeigt er den Prototyp, der künftig in den E-Autos verbaut werden soll. Und auch Tim Finke gibt sich optimistisch, dass der Transformationsprozess gelingen kann.

Der Leiter der Abgasanlagenfertigung vergleicht den Schritt für sein Team mit einem beliebten Kinderspielzeug: wer jahrelang mit Lego gebaut hätte, könne den Switch zu Fischertechnik schaffen. Zwar seien die Handgriffe andere, aber am Ende stehe ein besseres Produkt. 

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Redaktion: Andreas Bauer

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Quelle: hessenschau.de