Krieg, Inflation, Fachkräftemangel Wie hessische Unternehmen der Krise trotzen: drei Beispiele
Seit Jahren machen wechselnde Krisen Unternehmen in Hessen zu schaffen. Doch manche Firmen trotzen dem: mit Ideen, die verrückt klingen, mit uraltem Handwerk oder mit Produkten, die ganz im Verborgenen Leben retten.
Pandemie, Kriege, Rezession: Die Zeiten für Unternehmen sind schwierig. Meldungen über Stellenabbau und Werksschließungen häufen sich in Hessen. Trotzdem gibt es hierzulande Firmen, die den unruhigen Zeiten trotzen, die Top auf ihrem Gebiet sind - und das teils seit Jahrhunderten. Was machen sie richtig?
Ein Patentrezept gegen Krisen oder krisensichere Produkte gibt es nicht, sagt Dennis Schmehl vom Institut für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Uni Frankfurt. Es komme auf die Art der Krise an. "In der Corona-Pandemie waren durch Kontaktbeschränkungen vor allem Dienstleister wie Gastronomen betroffen, jetzt hingegen eher produzierende Gewerbe, zum Beispiel durch hohe Energiekosten."
Wer auch durch schwere Fahrwasser kommen will, sagt Schmehl, müsse vor allem "wirtschaftlich stabil sein, offen für Innovation und Veränderung, außerdem attraktiv für Beschäftigte."
Drei Beispiele von Firmen Hessen, die offenbar vieles richtig machen,
- Glockengießerei - altes Handwerk
- Kunststoff aus Gras - nachhaltige Innovation
- VAC - Kleinstteile, große Wirkung
Glocken für jeden Kontinent: Rincker in Sinn
![Glockengießerei Rincker in Sinn](https://www.hessenschau.de/wirtschaft/glockengiesserei-rincker-100~_t-1739366036210_v-16to9__small.jpg 320w, https://www.hessenschau.de/wirtschaft/glockengiesserei-rincker-100~_t-1739366036210_v-16to9__medium.jpg 480w, https://www.hessenschau.de/wirtschaft/glockengiesserei-rincker-100~_t-1739366036210_v-16to9__medium__extended.jpg 640w, https://www.hessenschau.de/wirtschaft/glockengiesserei-rincker-100~_t-1739366036210_v-16to9.jpg 960w, https://www.hessenschau.de/wirtschaft/glockengiesserei-rincker-100~_t-1739366036210_v-16to9__retina.jpg 1920w)
Eine Glocke hält so gut wie ewig. Hängt sie einmal im Kirchturm, braucht die Gemeinde so schnell keine neue. Aufwändig herzustellen ist sie außerdem - und Kirchen werden immer weniger gebaut. Mit Glockengießerei Geld zu verdienen, klingt fast unmöglich.
Doch der Familienbetrieb Rincker in Sinn (Lahn-Dill) tut genau das - seit über 400 Jahren. Das Unternehmen ist eines von nur noch vier Betrieben in Deutschland, die Glocken gießen, nach uraltem Handwerk. Eine heiße Metall-Legierung härtet in einer Lehm-Schablonenform aus, bevor eine prunkvolle Glocke herausgeschält wird. Die von Rincker läuten auf jedem Kontinent der Welt. Aber zum Überleben reicht das nicht.
![glühendes Metall bei der Produktion](https://www.hr-fernsehen.de/container-image-9534~_t-1735760403284_v-16to9__small.jpg 320w, https://www.hr-fernsehen.de/container-image-9534~_t-1735760403284_v-16to9__medium.jpg 480w, https://www.hr-fernsehen.de/container-image-9534~_t-1735760403284_v-16to9__medium__extended.jpg 640w, https://www.hr-fernsehen.de/container-image-9534~_t-1735760403284_v-16to9.jpg 960w, https://www.hr-fernsehen.de/container-image-9534~_t-1735760403284_v-16to9__retina.jpg 1920w)
Neben Glocken stellt Rincker deshalb auch Kunstwerke her: Von kleinen Figuren bis lebensgroßen Skulpturen für Parks, Plätze, Brunnen.
Rincker hat schon die Fußball-Legende Gerd Müller in Bronze gegossen und sogar den "King of Rock 'n' Roll" himself, Elvis Presley: Dieser lehnt, einem Foto nachempfunden, in Bad Nauheim an einem Brückengeländer und ist dort eine bekannte Sehenswürdigkeit.
![Elvis-Statue in Bad Nauheim](https://www.hessenschau.de/kultur/elvis-bad-nauheim-104~_t-1739366035061_v-16to9__small.jpg 320w, https://www.hessenschau.de/kultur/elvis-bad-nauheim-104~_t-1739366035061_v-16to9__medium.jpg 480w, https://www.hessenschau.de/kultur/elvis-bad-nauheim-104~_t-1739366035061_v-16to9__medium__extended.jpg 640w, https://www.hessenschau.de/kultur/elvis-bad-nauheim-104~_t-1739366035061_v-16to9.jpg 960w, https://www.hessenschau.de/kultur/elvis-bad-nauheim-104~_t-1739366035061_v-16to9__retina.jpg 1920w)
Auch Wartungs- und Pflegeverträge für seine Glocken bietet das mittelhessische Unternehmen an. Allein in Deutschland sind es über 3.000 Stück.
Flexibel und breit aufgestellt sein, das war im Laufe der Geschichte immer wieder die Devise. Obwohl Glocken als Symbol für Frieden gelten, konnten Glockengießer auch in Kriegszeiten bis Mitte des 19. Jahrhunderts gut Geld verdienen: "Jeder Glockengießer war auch Kanonengießer", sagt Firmenchef Hans Martin Rincker. "Man konnte mit dem Gießen von Kanonen einen ganz anderen Ertrag erzielen als mit dem Gießen von Glocken."
Kunststoff aus Gras: Biowert im Odenwald
![So sieht das fertige "Agriplast"-Granulat aus.](https://www.hessenschau.de/wirtschaft/gras-kunststoff-granulat-100~_t-1739366034080_v-16to9__small.jpg 320w, https://www.hessenschau.de/wirtschaft/gras-kunststoff-granulat-100~_t-1739366034080_v-16to9__medium.jpg 480w, https://www.hessenschau.de/wirtschaft/gras-kunststoff-granulat-100~_t-1739366034080_v-16to9__medium__extended.jpg 640w, https://www.hessenschau.de/wirtschaft/gras-kunststoff-granulat-100~_t-1739366034080_v-16to9.jpg 960w, https://www.hessenschau.de/wirtschaft/gras-kunststoff-granulat-100~_t-1739366034080_v-16to9__retina.jpg 1920w)
"Kunststoff wird uns noch lange begleiten", meint Dennis Schmehl. Insofern dürfte sich die Firma Biowert in Brensbach (Odenwald) ein zukunftsträchtiges Material ausgesucht haben. Allerdings stellt sie kein erdölbasiertes Plastik her, sondern Biokunststoffe.
Dafür nutzt sie einen Rohstoff, den es im Umland zuhauf gibt und der ständig nachwächst: Gras. Ein "interessantes Thema", findet Geschäftsführer Jens Meyer zu Drewer, "weil es in Deutschland 4,3 Millionen Hektar Dauergrünland-Gras gibt."
![Biomasse wird mit Handschuhen gezeigt](https://www.hr-fernsehen.de/container-image-9574~_t-1736105912792_v-16to9__small.jpg 320w, https://www.hr-fernsehen.de/container-image-9574~_t-1736105912792_v-16to9__medium.jpg 480w, https://www.hr-fernsehen.de/container-image-9574~_t-1736105912792_v-16to9__medium__extended.jpg 640w, https://www.hr-fernsehen.de/container-image-9574~_t-1736105912792_v-16to9.jpg 960w, https://www.hr-fernsehen.de/container-image-9574~_t-1736105912792_v-16to9__retina.jpg 1920w)
Gemäht werde direkt im Umland von Brensbach. Nach mehreren Trocknungsdurchgängen gewinnt Biowert Grasfasern daraus, die mit Recycling-Kunststoff vermischt, zu einem grünlichen Kunststoffgranulat verarbeitet werden - Material für Kleiderbügel, Kabelkanäle oder sonstige Gebrauchsartikel.
Bis zu 60 Prozent CO2 spart der Gras-Kunststoff nach Angaben von Biowert ein - und herstellen könne ihn weltweit bislang nur das Unternehmen aus dem Odenwald.
Kleinste Teile, die jeder braucht: VAC in Hanau
![Ein FI-Schalter](https://www.hessenschau.de/gesellschaft/fi-schalter-100~_t-1739366034504_v-16to9__small.jpg 320w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/fi-schalter-100~_t-1739366034504_v-16to9__medium.jpg 480w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/fi-schalter-100~_t-1739366034504_v-16to9__medium__extended.jpg 640w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/fi-schalter-100~_t-1739366034504_v-16to9.jpg 960w, https://www.hessenschau.de/gesellschaft/fi-schalter-100~_t-1739366034504_v-16to9__retina.jpg 1920w)
Wenn der Name "Vacuumschmelze" oder "VAC" fällt, macht es wahrscheinlich nicht gleich bei jedem klick. Dabei stellt das Hanauer Unternehmen etwas her, das jeder zu Hause hat - und wenn das klick macht, rettet es Leben. Die Rede ist vom FI-Schalter im Stromkasten.
Er schaltet binnen Millisekunden den Stromkreis ab - etwa wenn der Föhn in die Wanne fällt. So unauffällig wie der Schalter ist vieles, das VAC entwickelt oder herstellt. Dinge, die uns täglich nützen, ohne dass wir davon wissen: Stromsensoren aus einer Metallfolie, die dünner ist als ein Haar. Ob Handys, Autos oder in der Luftfahrt: berall wird sie verbaut.
VAC schmilzt seit über 100 Jahren unter Vakuum Metalle. Eine geschmolzene Legierung nach geheimer Rezeptur, die nur VAC kennt, wird mit einer Million Grad pro Sekunde abgekühlt. Das ermöglicht es VAC, jene hauchdünne Folie herzustellen, die durch ihre besondere Leitfähigkeit in der Elektronik sehr gefragt ist. Insgesamt ist das Hanauer Unternehmen bei einer Palette von über 1.000 solcher kleinen Dinge Marktführer.
![hs](https://www.hessenschau.de/tv-sendung/250102_hanauer_vacuumschmelze-100~_t-1735840207719_v-16to9__small.jpg 320w, https://www.hessenschau.de/tv-sendung/250102_hanauer_vacuumschmelze-100~_t-1735840207719_v-16to9__medium.jpg 480w, https://www.hessenschau.de/tv-sendung/250102_hanauer_vacuumschmelze-100~_t-1735840207719_v-16to9__medium__extended.jpg 640w, https://www.hessenschau.de/tv-sendung/250102_hanauer_vacuumschmelze-100~_t-1735840207719_v-16to9.jpg 960w, https://www.hessenschau.de/tv-sendung/250102_hanauer_vacuumschmelze-100~_t-1735840207719_v-16to9__retina.jpg 1920w)
Fast 1.100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt es in Hanau, 4.000 weltweit. Ein Team von 200 Forschern- und Entwicklerinnen sucht nach Unternehmensangaben ständig nach neuen Lösungen. "In dem Moment, wo wir aufhören, innovativ zu sein, dauert es nur noch ein paar Jahre, dann sind wir nicht mehr da", sagt CEO Erik Eschen.
Seinem Unternehmen komme außerdem zugute, dass sich viele Länder gern unabhängig machen wollen - etwa von chinesischen Produkten. "Die Vereinigten Staaten brauchen uns, Kanada braucht uns, die Europäische Union braucht uns und alle asiatischen Staaten, die nicht komplett abhängig von China sein wollen."
Fachkräftemangel größte Krise
In Krisenzeiten ist es auch für Unternehmen besonders gefährlich abhängig zu sein - beispielsweise von einzelnen Kunden oder Zulieferern, sagt Politikwissenschaftler Schmehl. "Wenn man nur auf ein Pferd setzt, kann das schief gehen." Als Beispiel nennt er Automobilzulieferer, die nur für einen Konzern produzieren.
Als größte Krise, die die meisten Branchen umspannt, betrachten Dennis Schmehl und seine Kollegen am IWAK allerdings die alternde Gesellschaft und damit den fortschreitenden Mangel an ausgebildeten Fachkräften.
"Noch mindestens in den kommenden zehn, fünfzehn Jahren wird voraussichtlich ein Fachkräftemangel in Hessen bestehen - und zwar unabhängig von der wirtschaftlichen Lage", sagt Schmehl. Die richtigen Leute zu finden und zu halten sei für Unternehmen daher die Grundvoraussetzung, um auch künftige Krisen zu überstehen.