Bekenntnis und Förderung Was sich die Games-Branche von der neuen Landesregierung erhofft
Deutschland ist einer der wichtigsten Märkte für Videospiele weltweit, Hessen ein Hotspot der Branche. Doch während andere Bundesländer Games-Entwickler mit hohen Summen fördern, fällt Hessen zurück. Die Branche drängt auf einen Politikwechsel.
Wer Stefan Marcinek fragt, ob er Jungunternehmern der Games-Branche den Standort Hessen empfehlen würde, der bekommt eine zögerliche Antwort. "Wenn man eine Firma gründen wollte, dabei nicht gebunden wäre, dann wäre Hessen nicht die Nummer eins empfehlenswerter Standorte", sagt er. "Und auch nicht Nummer zwei oder drei."
Stefan Marcinek ist seit den späten 1990er Jahren in der Spielebranche aktiv, als Redakteur, PR-Manager und seit 2003 auch als Unternehmensgründer. Seit 2016 leitet er den Publisher Assemble Entertainment in Wiesbaden.
Rhein-Main-Gebiet ist Hotspot der Games-Branche
Müsste er Bundesländer für eine Neugründung empfehlen, so wären das Bayern, Berlin-Brandenburg oder Nordrhein-Westfalen, wie er sagt. Dort lagen zuletzt Summen von jeweils bis zu 5,3 Millionen Euro für die Förderung der Branche bereit. In Hessen waren es rund 320.000 Euro - für ausgewählte so genannte Serious Games, also Lernspiele.
"Da hilft dann auch nicht mehr, dass mit dem Flughafen ein zentraler Verkehrsknoten bei Frankfurt liegt", sagt Marcinek. Dieser war es möglicherweise, der das Rhein-Main-Gebiet zu einem der bedeutendsten Games-Hotspots in Deutschland gemacht hat. Mehrere Weltkonzerne haben ihre Niederlassungen in und um Frankfurt, PlayStation-Hersteller Sony Interactive zum Beispiel oder Nintendo of Europe - mit knapp 1.000 Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber der Branche.
Außerdem werden PC-, Konsolen-, Browser- und Handyspiele entwickelt und vermarktet, unter anderem von Crytek, Deck13, Assemble Entertainment, Keen Games oder Cloud Imperium Games. Zusammen mit der Software-Industrie erwirtschaftete die Games-Branche nach Angaben des Wirtschaftsministeriums zuletzt einen Umsatz von über 5,2 Milliarden Euro und gehört damit zur umsatzstärksten Branche der hessischen Kreativwirtschaft.
Hessische Entwickler profitieren kaum von Milliardenmarkt
Allein: Bei den hessischen Games-Unternehmen kommt davon kaum etwas an. "Die Umsätze machen vor allem die internationalen Unternehmen, die in Rhein-Main ihre Vertriebszentren haben, aber eben im Ausland entwickelte Produkte verkaufen", erklärt Jan Klose.
Klose ist Mitgründer und Geschäftsführer des Frankfurter Studios Deck13, außerdem Sprecher des Branchenverbandes "game Hessen". "Der Markt hat sich in den vergangenen beiden Jahrzehnten radikal gewandelt", sagt er.
Länder wie Kanada, Großbritannien oder Frankreich haben umfangreiche Förderprogramme aufgebaut, um sich Wettbewerbsvorteile in dem Milliardenmarkt zu sichern. Deutschland hinkt weit hinterher: Eine Bundesförderung gibt es seit 2020, wovon Deck13 schon profitieren konnte.
Vorher hatten einige Bundesländer eigene Programme eingerichtet. In Hessen ist wenig passiert - obwohl Branchenvertreter die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Branche immer wieder anmahnen.
Investment in Branche und Standort
Eine Förderung möchte Klose dabei als Bekenntnis zu und Investment in seine Branche und den Standort Hessen verstanden wissen. Fördermöglichkeiten gäbe es mehrere, sagt er. Da seien zum Beispiel Startups. "Für die ist gerade eine Landesförderung wichtig, mit der sie ihr erstes Projekt stemmen können", erklärt er. "Daran fehlt es total in Hessen, da geht uns viel verloren."
Aber auch etablierte Studios und Projekte bräuchten Investments, sagt Co-Sprecherin Claudia Stricker. Ihr Drei-Personen-Unternehmen Playzo entwickelt in Darmstadt seit über 20 Jahren Browsergames.
Playzo falle dabei aus der Bundesförderung heraus, weil Projekte dort neu sein und bestimmte Mindestentwicklungskosten erreichen müssten, wie sie erklärt. "Unser ältestes Spiel ist 20 Jahre alt, muss aber auch kontinuierlich weiterentwickelt werden." Hier springe die Förderung des hessischen Wirtschaftsministeriums schon ein, sei aber ausbaufähig.
Konkurrenz mit Bundesländern und anderen Staaten
Jan Klose muss als Studiochef mit rund 100 Mitarbeitenden wiederum mit anderen Bundesländern um Fachkräfte konkurrieren, aber auch mit Staaten wie Kanada, die Arbeitsplätze in der Games-Branche hoch subventionieren, wie er sagt: "Generell wäre es bei uns gut, wenn wir Arbeitsplätze gefördert bekommen könnten, weil das einfach der größte Teil der Kosten überhaupt ist."
Für Fachkräfte sei das Rhein-Main-Gebiet attraktiv und es gebe etwa mit der TU Darmstadt sehr gute Ausbildungsstätten. Die Branche habe das Potenzial, zu einer Industrie zusammenzuwachsen, sagt Klose - etwa über Dienstleister wie Synchron- oder Motion-Capture-Studios.
Studiochef: Games-Branche ist hochinnovativ
Auch andere Industrien könnten vom Wissenstransfer aus der Branche profitieren, etwa die Autoindustrie. "Bei uns arbeiten herausragende Programmierer oder Webentwickler", betont Klose. "Im Prinzip ist jedes unserer Spieleprojekte eine technische Revolution, denn kein Spiel wird auf dem Stand von vorher entwickelt."
Eine Sorge, die Klose mit anderen Branchen teilt, ist ein Zuviel an Bürokratie, "Stichwort Willkommenskultur", sagt Klose. Immer wieder könne er Expertinnen oder Experten nicht nach Deutschland holen, weil Abschlüsse nicht anerkannt würden, berichtet er. Und seien sie einmal da, steckten sie oft monatelang im Behördendschungel fest.
Minister: "Haben Interesse daran, die Branche zu unterstützen"
Von der neuen Landesregierung sind dazu erste - wenngleich noch vage - Signale zu hören. Im schwarz-roten Koalitionsvertrag steht etwa, dass der Nachwuchs, die Sichtbarkeit und die Vernetzung der Branche gefördert werden sollen. Zudem will die Koalition über den Bundesrat vergleichbare steuerrechtliche Regelungen wie in anderen europäischen Staaten erarbeiten.
Auch soll ein Förderprogramm "Games made in Hessen" ausgebaut und weiterentwickelt werden - gemeint ist wahrscheinlich das Programm "Hessen serious Game" des Wirtschaftsministeriums. Ob es auch eine mit der Filmbranche vergleichbare kulturelle Förderung geben wird, bleibt offen.
Der neue Kunstminister Timon Gremmels (SPD) blieb im Gespräch mit dem hr ebenfalls vage. "Das, was in der Games-Branche in den letzten Jahrzehnten gewachsen ist, das ist Kunst und Kultur und Kreativwirtschaft at its best", sagte er. "Natürlich haben wir ein großes Interesse daran, dass die Branche unterstützt wird." Wie genau, müsse jetzt im Dialog mit dem Wirtschaftsministerium geklärt werden. "Wir kriegen bestimmt etwas hin, ich bitte nur, uns etwas Zeit zu geben."
Studiochef: "Games-Branche soll echte Industrie werden"
Die Branche freue sich zwar über positive Signale, sagt Studiochefin Claudia Sticker - und wünscht sich gleichzeitig einen einheitlichen Ansprechpartner und von der Politik unterstützte Vernetzungsveranstaltungen in Hessen.
Der Wiesbadener Spieleverleger Stefan Marcinek wiederum wünscht sich ein deutlicheres Bekenntnis von noch höherer Stelle: "Ein klares Commitment, wie ich das von den Ministerpräsidenten von Bayern oder Nordrhein-Westfalen kenne, fehlt bislang", sagt er.
Und Jan Klose ergänzt: "Wir brauchen noch den Sprung über den eigenen Schatten", betont er. "Dass wirklich etwas passiert, dass eine nennenswerte Förderung eingerichtet wird, die zumindest einmal mit den anderen Bundesländern mithalten kann, so dass wir die Leute nicht verlieren." Sein ultimativer Wunsch: "Dass wir aus unserer Branche eine echte Industrie aufbauen können. Das wäre toll."
Sendung: hr-iNFO, 19.02.2024, 7.45 Uhr
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