Möbelhändler Wayfair macht dicht Schließung des Logistikzentrums in Lich weckt alte Ängste
Der Möbelhändler Wayfair zieht sich aus Deutschland zurück und macht sein Logistikzentrum in Lich dicht. Die Schließung des einst umstrittenen Standorts lässt in der Stadt frühere Befürchtungen wieder aufkommen.
Gut eine Dreiviertelstunde dauert es, bis endlich ein Lkw vorbeikommt. Es ist wenig los am Logistikzentrum von Wayfair in Lich (Gießen). Und bald wird es hier rund um die riesengroßen grau-blauen Lagerhallen wohl noch ruhiger werden.
Wie der US-amerikanische Online-Möbelhändler vergangene Woche bekannt gegeben hat, will sich das Unternehmen komplett aus dem Deutschland-Geschäft zurückziehen. Laut Wayfair betrifft das das Hauptbüro in Berlin und das Zentrallager in Mittelhessen.
70 Mitarbeitende betroffen
In einem internen Schreiben an die Mitarbeitenden heißt es zur Begründung: Wayfairs Erfolg in Deutschland habe dem Geschäft in anderen Ländern hinterhergehinkt. Gründe seien unter anderem "schwache makroökonomische Bedingungen" und der aktuelle Bekanntheitsgrad des Unternehmens in Deutschland.
Auf hr-Anfrage teilt das Unternehmen mit: Alle derzeitigen 70 Mitarbeitenden am Standort seien betroffen. Einigen habe man sofort gekündigt, andere würden noch eine Zeit lang weiterarbeiten. Der Onlineshop sei bereits seit dem 10. Januar geschlossen, derzeit führe man noch ausstehende Bestellungen und Retouren aus.
Bürgermeister bedauert Schließung
Die grundlegende Strategieänderung des Unternehmens kommt in Lich für viele überraschend, darunter auch Bürgermeister Julien Neubert (SPD). Er sagt: Nach seinem Kenntnisstand habe Wayfair zuletzt sogar noch über Investitionen nachgedacht.
Neubert bedauert besonders den Wegfall der Arbeitsplätze. Zudem verliere man mit Wayfair ein Unternehmen, mit dem der Austausch immer gut gewesen sei und das sich zivilgesellschaftlich in der Stadt eingebracht habe.
Auch Gewerbesteuer fällt weg
So habe Wayfair etwa die Grundschule und das Schwimmbad mit Möbelspenden und Sponsoring unterstützt. "Und nach einem katastrophalen Hausbrand, bei dem eine Großfamilie alles verloren hatte, hat das Unternehmen noch am gleichen Tag einen kompletten Hausstand gespendet."
Hinzu kommt: Auch Gewerbesteuereinnahmen brechen für die Stadt weg. Wie viel, will Neubert nicht sagen. Er betont aber: Dies werde die derzeitigen Großprojekte der Stadt – etwa den Kauf des Waldschwimmbads und die Umgestaltung des Schlossparks – nicht negativ beeinflussen.
Das Logistikzentrum war viele Jahre hoch umstritten, vor allem aufgrund der befürchteten Lärm- und Verkehrsbelastung. Vor dem Bau vor vier Jahren hatte es massive Proteste in Lich gegeben. Eine damals gegründete Bürgerinitiative hatte unter anderem versucht, es juristisch und mit Unterschriftensammlungen zu verhindern – allerdings erfolglos.
Gebäude hat 95.500 Quadratmeter
Die Dimensionen sind beeindruckend: 20 Meter hoch, 140 Meter breit und 300 Meter lang. Acht Lagerhallen mit je 10.000 Quadratmetern Grundfläche, 220 Tore für den Warenverkehr und Stellplätze für über 150 Lastwagen.
Insgesamt hat das Gebäude laut Eigentümer knapp 95.500 Quadratmeter Mietfläche. Zum Vergleich: Das Amazon-Logistikzentrum in Bad Hersfeld hat 110.000 Quadratmeter. Es gilt als eins der größten in Deutschland.
Auf dem Papier hat Wayfair noch einen Mietvertrag bis 2036. Das Gelände gehört mittlerweile einer Eigentümergemeinschaft aus Deutschland und Großbritannien. Sie teilt auf hr-Anfrage mit: Lich sei ein Top-Standort, man sei sehr optimistisch, einen neuen Mieter zu finden.
Alte Ängste werden geweckt
Das weckt in Lich alte Ängste. Carmen Knöß, die sich vor vier Jahren stark gegen das Logistikzentrum engagierte, sagt: Die größte Sorge sei damals neben dem Flächenfraß vor allem der Lkw-Verkehr gewesen.
"Weil das Gelände nicht direkt an der Autobahn liegt, müssen alle Lastwagen Richtung Dortmund hier durch die Stadt." Die Sorge von Knöß und anderen ist nun: Mit einem neuen Mieter könnte die Belastung noch größer werden. Knöß ist mittlerweile Stadtverordnete der Wählergruppe BfL, die aus der Bürgerinitiative "Bürger für ein lebenswertes Lich" hervorgegangen ist.
Weniger Belastung als befürchtet
Mit Wayfair war die Belastung allerdings deutlich geringer ausgefallen, als anfangs befürchtet. Die Lkw wurden um den Ortskern herumgeleitet. Hinzu kam aber wohl auch, dass hier deutlich weniger Menschen arbeiteten, als anfangs erwartet.
Von Platz für bis zu 800 Arbeitsplätze war zeitweise die Rede gewesen. Bei Wayfair sollen es in der Spitze 300 gewesen sein.
Knöß sagt: Der Wayfair-Verkehr sei in Lich letztlich kaum aufgefallen. Das Schreckgespenst vieler sei ein Versand-Riese, der täglich große Warenmengen umschlägt und mit Sprintern durch die Stadt fährt.
Stadt prüft "Veränderungssperre"
Laut Bürgermeister Neubert ist die Stadt bereits mit dem Eigentümer im Gespräch. Man lasse auch bauplanungsrechtlich prüfen, inwieweit die Stadt durch eine sogenannte Veränderungssperre aktiv in den Prozess eingreifen könnte, um etwaige Belastungen möglichst gering zu halten.
"Das würde bedeuten, dass bei einer Neuvermietung für nicht genehmigungspflichtige Neu- oder Umbauten auf dem Gelände trotzdem das Einverständnis der Stadt Lich erforderlich wäre", so Neubert.
Anwohner wenig überrascht
Wenig überrascht vom Standort-Aus zeigt sich Anwohner Walter Schmitz, der rund 400 Meter vom Logistikzentrum entfernt wohnt. Auch er hatte sich vor dem Bau in der Bürgerinitiative engagiert.
Schmitz sagt: "Hier war so wenig los, dass ich schon vor ein oder zwei Jahren damit gerechnet habe, dass bald Schluss ist." Insgesamt sei der Betrieb für die Anwohner in den vergangenen Jahren unauffällig und unproblematisch verlaufen.
Der Bau des Zentrums sei für ihn aber weiterhin ein Fehler. "Das Gebäude passt nicht zu Lich, so was gehört an die Autobahn."
Jetzt sei es aber nun mal da, sagt der Anwohner. "Es wird uns nie wieder verlassen, wir müssen damit klarkommen." Proteste werde es in Lich wohl keine mehr geben. "Das Ding steht", meint er. Da brauche man keine Plakate mehr aufhängen.