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Welche Unternehmen in Hessen viel Grundwasser nutzen

Der Industriepark Höchst in Frankfurt aus der Vogelperspektive

Seit vergangenem Herbst produziert Aldi Nord in Hessen Mineralwasser. Kritiker befürchten den "Ausverkauf des Trinkwassers". Doch wie steht es wirklich um die Wasserressourcen in Hessens Böden - und welche Unternehmen profitieren am meisten?

Wer bei Aldi Nord in Flaschen abgefülltes Mineralwasser kauft, erhält möglicherweise Wasser aus hessischen Böden. Im November 2022 kaufte die Discounter-Kette die Produktionsstätten eines Mineralwasserherstellers – unter anderem im nordhessischen Breuna (Kassel).

Der Kauf schlug hohe Wellen: "Stoppt den Ausverkauf unseres Trinkwassers", heißt eine aktuelle Kampagne, die die Organisation Campact daraufhin startete. Inzwischen hat der Appell über 470.000 Unterschriften.

Kostenlos aus der Erde, weiterverkauft in Flaschen

Campact kritisiert, dass Unternehmen wie Aldi in Bundesländern wie Hessen kostenlos Grundwasser aus dem Boden entnehmen würden, um es in Flaschen abgepackt für den eigenen Profit zu verkaufen. Gleichzeitig werde das Wasser durch den Klimawandel immer knapper.

"Es gibt tatsächlich eine Wasserkrise in Deutschland", sagt Liza Pflaum von Campact zum Anlass der Kampagne. Das mache sich zum Beispiel durch die Zunahme von vor Gerichten ausgetragenen Konflikten ums Wasser bemerkbar, über die das Recherchezentrum Correctiv im vergangenen Jahr berichtet hatte.

Mangelt es in Hessen am Grundwasser?

Nach verregneten Wochen im Frühjahr 2023 scheint Hessen von einer Wasserkrise und Dürren, wie es sie derzeit etwa in Frankreich gibt, weit entfernt. Doch erst im vergangenen Sommer hatten einzelne Kommunen die Wassernutzung einschränken müssen, weil es zu wenig regnete. Der Zustand der Wälder in Hessen gilt als dramatisch - und eine der Hauptursachen: Trockenheit.

Nach einem regenreichen Winterhalbjahr meldete das Hessische Landesamt für Naturschutz, Umwelt und Geologie (HLNUG) im Mai, dass sich die Grundwasserstände inzwischen vielerorts erholt hätten. Dennoch blieben die Auswirkungen der trockenen Sommer 2018 bis 2020 an vielen Messstellen noch immer spürbar.

Solche trockenen und warmen Sommer werde es in Zukunft durch den Klimawandel ziemlich sicher häufiger geben, sagt auch HLNUG-Geologe Dieter Kämmerer. Gleichzeitig sei aber auch von mehr Niederschlägen im Winterhalbjahr auszugehen. "Es ist momentan ein bisschen wie eine Glaskugel", sagt er, "aber es ist sinnvoll, vorbereitet zu sein."

Großer Teil des Wassers von Industrie genutzt

Ist Hessen darauf vorbereitet, wenn die Ressource Grundwasser knapper werden sollte? Aus Sicht von Liza Pflaum nicht ausreichend. "Wir müssen uns jetzt dafür stark machen, dass wir Bürgerinnen und Bürger auch in den nächsten Jahren noch ausreichend Wasser zur Verfügung haben, und nicht der Großteil des Wassers durch Unternehmen privatisiert wird", sagt sie.

Pflaum bemängelt unter anderem, dass Unternehmen in Hessen nicht dafür zahlen müssen, wenn sie Grundwasser abzapfen. Bis auf Bayern und Thüringen gibt es in allen anderen Bundesländern inzwischen einen sogenannten "Wassercent", eine Gebühr für die Wasserentnahme.

Kommt der "Wassercent" auch in Hessen?

Das von den Grünen geführte Hessische Umweltministerium teilt mit, dass die Einführung eines "Wassercents" in Hessen noch durch eine Studie geprüft werde. "Mit Ergebnissen ist im Laufe des Spätsommers zu rechnen", heißt es. Aber warum überhaupt eine Studie, wenn die meisten anderen Bundesländer schon längst weiter sind?

"Die in 13 Ländern bereits bestehenden Regelungen unterscheiden sich zum Teil ganz erheblich", so das Umweltministerium. Unklar sei, wie genau der "Wassercent" ausgestaltet werden müsse, um möglichst sinnvoll zu wirken. "Insoweit sollen die Erfahrungen der anderen Bundesländer genutzt und somit eine geeignete Lösung für Hessen abgeleitet werden."

Unternehmen benötigen behördliche Erlaubnis

Außerdem betont das Ministerium, dass es in Hessen sehr wohl strenge Regeln zur Wasserentnahme gebe. So benötigten Unternehmen, die mehr als 3.600 Kubikmeter Grundwasser im Jahr entnehmen möchten, dafür eine Erlaubnis von der oberen Wasserbehörde – also den Regierungspräsidien.

Auf hr-Anfrage haben die drei hessischen Regierungspräsidien in Kassel, Gießen und Darmstadt die jeweils fünf größten industriellen Entnehmer von Grundwasser aufgelistet. Lediglich im Regierungspräsidium Gießen wurden nur die drei größten Unternehmen namentlich genannt – zwei Mineralwasserhersteller hätten der Weitergabe der Daten nicht zugestimmt.

Merck, Infraserv, K + S

Das Unternehmen Aldi Nord taucht in dieser Auflistung nicht auf. Stattdessen sind die drei größten Entnehmer von Grundwasser der Chemiekonzern Merck mit seinem Standort in Gernsheim (Groß-Gerau), dicht gefolgt von der Frankfurter Infraserv GmbH & Co. Höchst KG und dem Düngemittelhersteller K + S mit seinen Werken Werra (Hersfeld-Rotenburg) und Neuhof-Ellers (Fulda).

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Die Unternehmen erklären auf Anfrage, dass sie mit Wasser so sparsam wie möglich umgingen, die Nutzung für ihren Betrieb jedoch unabdingbar sei. Die Einführung eines "Wassercents" sehen sie kritisch.

So schreibt beispielsweise Merck: "Es gibt Prozesse, bei denen auf den Einsatz von Wasser nicht verzichtet werden kann. Eine Abgabe kann hier somit keine Lenkungswirkung entfalten." Und weiter: "Prinzipiell sind wir gegen zusätzliche Belastungen für Unternehmen."

Hoher Wasserverbrauch für Chemie, Papier und Autos

Nach Branchen ausgewertet handelt es sich bei den jeweils fünf größten Grundwasser-Entnehmern in Nord-, Mittel- und Südhessen hauptsächlich um die Bereiche Chemie- und Pharmaindustrie, Rohstoffe und Bau, Papierherstellung, Getränke- und Lebensmittelherstellung sowie die Automobilindustrie.

Zu berücksichtigen ist hierbei, dass eine große Branche in dieser Darstellung nicht auftaucht, weil sie sich aus einer Vielzahl an kleineren Betrieben zusammensetzt: Nach Angaben des Hessischen Umweltministeriums fallen etwa 30 Prozent der Wassergewinnung durch gewerbliche und industrielle Betriebe auf die Landwirtschaft zurück (Stand 2016).

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Und die Getränke von Aldi Nord?

Auch die öffentliche Wasserversorgung ist in dieser Darstellung ausgeklammert. Doch wie das Beispiel Aldi Nord zeigt, verbirgt sich auch hinter den Zahlen der öffentlichen Wasserversorgung in einzelnen Fällen eine industrielle Nutzung.

Am neuen nordhessischen Standort Breuna darf Aldi Nord nach eigenen Angaben bis zu 1,8 Millionen Kubikmeter Wasser jährlich aus Brunnen der Stadt Wolfhagen beziehen – über einen gemeinsamen Nutzungsvertrag mit den Regionalwerken Wolfhagener Land.

Als Rechtsnachfolger der örtlichen Stadtwerke gelten diese nicht als gewerbliches Unternehmen, erklärt das Regierungspräsidium Kassel auf Nachfrage. Deshalb sei Aldi nicht in der angefragten Auflistung aufgeführt worden.

Unterschiede zu öffentlicher Versorgung

Ein weiterer Unterschied zwischen öffentlicher und gewerblicher Wasserentnahme: Für die Unternehmen werden laut dem Hessischen Umweltministerium grundsätzlich nur Erlaubnisse zur Wasserentnahme erteilt, keine Bewilligungen. Bei Erlaubnissen gebe es immer die Möglichkeit für Einschränkungen und Nebenbestimmungen.

HLNUG-Experte Kämmerer ist bei vielen solcher Prüfungen der Vergabe von Wasserrechten involviert. "Unsere erste Aufgabe ist es, zu prüfen: Entspricht das Grundwasserdargebot dem, was entnommen werden soll?"

Außerdem werde geprüft, ob die Entnahme eine andere Gewinnungsanlage oder den Naturhaushalt im umliegenden Biotop beeinflussen würde. "Wenn das der Fall ist, kommt es zur Festlegung von Grenz-Grundwasserständen, die nicht unterschritten werden dürfen", erklärt er.

Längste Laufzeit bis 2052

Auch die Laufzeit der Wasserrechte unterscheidet sich: In der öffentlichen Versorgung liege diese bei bis zu 30 Jahren, im gewerblichen Bereich seien fünf bis 15 Jahre üblich, schreibt das Umweltministerium.

Tatsächlich zeigt die Abfrage über die größten Unternehmen bei den Regierungspräsidien jedoch, dass auch hier die Rechte teils über mehrere Jahrzehnte erteilt wurden. An der Spitze liegt der Lebensmittelhersteller Hochwald Foods GmbH in Mittelhessen mit einer Laufzeit bis 2052.

"Es braucht künftig deutlich kürzere Laufzeiten für Wasserrechte", fordert Liza Pflaum von Campact. "Es muss stetig überprüft werden, ob so etwas im Kontext des Klimawandels noch gerechtfertigt ist."

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Wolfhagener Stadtwerke rechnen mit Einschränkung

Im Fall von Aldi Nord in Wolfhagen sind die Wasserrechte bereits ausgelaufen, aktuell gebe es lediglich eine "Duldungserlaubnis", erklären die Stadtwerke Wolfhagen. Während die obere Wasserbehörde den neuen Antrag prüfe, blieben die bisherigen vertraglichen Regelungen in Kraft.

"Unserer derzeitigen Einschätzung nach ist abzusehen, dass die Entnahmemöglichkeiten deutlich eingeschränkt werden", so ein Sprecher der Wolfhagener Stadtwerke. Aldi Nord geht nach eigenen Angaben von einer Genehmigung von 1,5 statt den bisherigen 1,8 Millionen Kubikmetern Wasser aus.

Aldi: Interesse an Nachhaltigkeit

"Dieses Niveau ist notwendig, um den langfristigen Lieferverpflichtungen nachkommen zu können", so ein Sprecher von Aldi Nord. Gleichzeitig habe auch das Unternehmen "im Sinne der Nachhaltigkeit" ein Interesse daran, dass "Nutzung und Neubildung von Grundwasser langfristig in einem ausgewogenen Verhältnis stehen".

Für welche Laufzeit die neuen Wasserrechte nun vergeben werden, liegt nun an der Einschätzung der oberen Wasserbehörde.

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