Wirtschaftsexperte über Sparkurs "Ein Aus von VW in Baunatal mag man sich lieber nicht vorstellen"

Der geplante Sparkurs bei VW bereitet auch den Angestellten im Baunataler Werk Sorgen. Eine Schließung könnte für Nordhessen Auswirkungen haben wie die Wende für die DDR, befürchtet der Wirtschaftsexperte Guido Bünstorf.

VW-Werk in Baunatal von außen, Backsteinbau mit blauem "Volkswagen"-Schriftzug auf dem Dach
VW-Werk in Baunatal. Bild © picture-alliance/dpa
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VW muss Geld sparen und kündigt an: Jeder Standort wird hinterfragt, die vereinbarte Job-Garantie bis 2029 will VW aufkündigen. Die Bundesregierung um Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) versucht derweil nach eigenen Angaben, alle VW-Standorte zu sichern und betriebsbedingte Kündigungen zu verhindern.

Professor Guido Bünstorf berät nicht nur die Bundesregierung und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Fragen der Innovation, er leitet auch das Fachgebiet Wirtschaftspolitik, Innovation und Entrepreneurship an der Universität Kassel.

Im Interview mit hessenschau.de sagt er: Bei der Konzernentscheidung könnten auch wirtschaftspolitische Aspekte eine Rolle spielen. Eine Entscheidung gegen die Region Nordhessen könnte zu einem großen Problem werden.

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Die Fragen stellte Leander Löwe.

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VW-Mitarbeiter entsetzt über Sparpläne und sauer auf Chefs

VW-Mitarbeiter
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hessenschau.de: Wie sehr ist das VW-Werk in Baunatal von den angekündigten Sparplänen aus Ihrer Sicht gefährdet?

Guido Bünstorf: VW hat nicht ausgeschlossen, ein Werk in Deutschland zu schließen, und damit ist auch Baunatal prinzipiell in Gefahr. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass die angedrohte Werksschließung vor allem ein Zeichen setzen soll, dass die Arbeitskosten reduziert werden müssen.

Soweit ich das von außen sehe, werden die Werke weiterhin um die jeweiligen Beauftragungen für bestimmte Modelle, für bestimmte Komponenten, für bestimmte Antriebsstränge konkurrieren. Da muss Baunatal sich durchsetzen. Das ist praktisch fast so wie ein unternehmensinterner Markt.

Und das Schwierige für Baunatal ist natürlich, dass mit dem Übergang zur Elektromobilität alte Stärken im Getriebebau und im Bau von Abgasanlagen nicht mehr so relevant sind, sondern man sich eine neue Wettbewerbsposition aufbauen muss. Am Ende gehe ich davon aus, dass VW diese Entscheidungen nach unternehmerischen Kriterien treffen wird. Ob wirklich ganze Werke wegfallen, ist aus meiner Sicht noch nicht ausgemacht.

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hessenschau.de: Sie sagen, dass VW diese Entscheidung anhand unternehmerischer Kriterien treffen wird. Das Land Niedersachsen hält allerdings 20 Prozent der Anteile von VW, die Stadt Wolfsburg ist die Heimat von VW. Könnte das eine Rolle spielen bei der Entscheidung, welche Werke womöglich wegfallen und dass niedersächsische Standorte sicherer sind?

Bünstorf: Grundsätzlich sollte das Land Niedersachsen zwar daran interessiert sein, dass VW Entscheidungen trifft, die gut für das Unternehmen sind. Auch die zwei Vertreter und Vertreterinnen des Landes Niedersachsen im Aufsichtsrat sind in ihrer Aufsichtsratsposition erst mal dem Wohl des Unternehmens verpflichtet.

Jetzt ist es aber natürlich so, dass Politiker und Politikerinnen auch unter politischem Druck stehen. Ganz ausschließen kann man vermutlich nicht, dass Entscheidungen auch unter diesem Aspekt gefällt werden. VW hat da eine ganz eigentümliche Eigentümerstruktur.

Dadurch entsteht der Verdacht, dass hier Einfluss auf Entscheidungen genommen werden kann. Akut kann es also passieren, dass Baunatal aus politischen Aspekten gefährdeter ist, als es sonst gefährdet wäre.

Guido Bünstorf schaut freundlich in die Kamera
Guido Bünstorf ist Professor für Wirtschaftspolitik, Innovation und Entrepreneurship an der Uni Kassel. Bild © Sonja Rode

hessenschau.de: Was für Konsequenzen hätte denn eine Reduzierung oder gar die Schließung des Standortes Baunatal für die wirtschaftliche Region Nordhessen?

Bünstorf: Das mag man sich ehrlich gesagt nicht vorstellen. VW ist der größte Arbeitgeber in Nordhessen. Ich würde sagen, es ist ein identitätsstiftender Arbeitgeber. Es geht um gut bezahlte und, wie wir bisher dachten, sichere Industriearbeitsplätze. Wenn die ganz oder auch nur teilweise wegfallen, bricht ganz erhebliche Kaufkraft hier in der Region weg. Damit fallen Einnahmen für Gastronomie und für den Einzelhandel weg.

Man kann sich vorstellen, dass sich mittelfristig die Immobilienpreise anders entwickeln, als sie sich sonst entwickeln würden. Junge, gut ausgebildete Menschen würden die Region verlassen, weil sie hier weniger Arbeitsplätze finden als bisher. Selbst wir als Universität wären negativ betroffen.

Wenn es also zu einer Werksschließung käme, wäre mit einem gewaltigen Schock zu rechnen. Allerdings ist grundsätzlich nicht damit zu rechnen, dass von heute auf morgen das Licht ausgemacht würde. Das wäre vermutlich ein gradueller Prozess. Es wäre über einen Sozialplan abgefedert.

hessenschau.de: Für Volkswagen arbeiten ja auch viele Zulieferer oder Dienstleister aus der Region. Wie wären die vom Sparkurs betroffen?

Bünstorf: Die Auswirkungen für die Unternehmen aus der Region muss man ganz klar mitdenken. Sie dürften sehr unterschiedlich sein, je nachdem, warum ein Unternehmen gerade für VW arbeitet.

Denken Sie an den Dienstleister, sagen wir im Bereich Gebäudereinigung. Der hätte vermutlich diesen Auftrag, weil er in der Nähe ist oder weil er über längere Zeiträume eine Geschäftsbeziehung zu VW aufgebaut hat. Der würde vermutlich nicht unbedingt den gleichen Auftrag wieder bekommen und wäre sehr hart betroffen.

Andere Zulieferer können hingegen etwas besonders gut. Die können entweder die Alleinstellungsmerkmale bei einem anderen Auftraggeber oder bei VW mit einem anderen Standort weiterführen. Man kann es schlecht pauschalisieren, aber es ist davon auszugehen, dass auch viele Zulieferer hier in der Region stark negativ betroffen wären.

hessenschau.de: Wie könnte die Region das wirtschaftlich abfedern?

Bünstorf: Ich sehe nicht, wer das abfedern sollte. Das hätte man vielleicht vor einem, zwei Jahren noch ein bisschen optimistischer gesehen. Der Arbeitsmarkt läuft ja auch noch ganz gut, aber die Zeichen sind aktuell alle ein bisschen schwierig.

Für die Selbstwahrnehmung hier in der Region wäre das ein harter Schlag. Angesichts der Bedeutung von VW für die Region Nordhessen hätten die Auswirkungen schon fast solche Dimensionen wie das, was in Ostdeutschland nach der Wende passiert ist.

Sendung: hr1,

Quelle: hessenschau.de